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Bett, Küche und Steuerkabine in einem. Mit dem LKW quer durch Europa4 min read

24. November 2018 3 min read

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Bett, Küche und Steuerkabine in einem. Mit dem LKW quer durch Europa4 min read

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Auf den Strassen sind es immer diejenigen die wir am wenigsten mögen. Die Lastwagen. Die tonnenschweren Giganten, die man immer überholen muss. Und möge ja kein Lastwagen einen anderen überholen. Sonst gibt es Stau und viele Fluchworte.
Dass auch jemand hinter dem Steuer sitzt, der schon tage- sogar wochenlang hinter diesem Steuer gesessen hat, bereits mehrere tausend Kilometer zurückgelegt und viele Landesgrenzen durchquert hat, ist uns klagenden Autofahrern meist nicht bewusst.
Man redet immer über den Lastwagen und nie über den Chauffeur, der vielleicht auch lieber zu Hause Zeit mit seiner Familie verbringen möchte. Stattdessen transportiert er mehrere Länder weiter weg Güter für seinen Spediteur.
Genau dies tun wir jetzt. Wir reden über den unbeachteten, unbekannten jedoch stets präsenten und für den Güterverkehr wichtigen Lastwagenchauffeur in Europa.

 

Arbeitsbedingungen an der Grenze der Legalität

Momentan sind die Arbeitsbedingungen für LKW-Fahrer relativ schlecht. Dies gilt vor allem für die osteuropäischen Chauffeure, welche für westeuropäische Firmen transportieren. Ihnen geht es ähnlich wie die Landarbeiter in China. Sie kommen von weither aber erhalten einen Lohn, der ihren eigenen osteuropäischen Lohnverhältnissen entspricht, wodurch die Transportfirmen selber einen hohen Profit ziehen. Diese Dumpinglöhne sind eigentlich illegal, da die Firmen damit die eigenen, von den EU-Staaten festgelegten Mindestlöhne vermeiden.

Durch diesen Geldmangel wird es für die Chauffeure auch während der Reise schwierig, sich ausreichend zu verpflegen bzw. sich zu pflegen. An Raststätten kostet ein Kanister ungefähr €5. Es ist nicht möglich für einen Fahrer beispielsweise aus Kroatien mit einem Lohn von etwa 900€, sich bei jedem Stopp solch einen Kanister zu kaufen. Bei so einem kargen Lohn muss jeder Cent eingespart werden, was sogar die Deckung der Grundbedürfnisse einschränkt. Essen, genügend Wasser oder eine nötige Dusche kann sich der Chauffeur nur schwer leisten.

 

Das Leben in der Kabine

Susan Boos und Fabian Biasio haben im Auftag der Alpen – Initiative eine Web-Reportage realisiert. Petar Stefanovic, ein bosnischer LKW-Fahrer erzählt in der Web-Reportage  «Leben in der Kabine»: Meistens würden die Menschen das Klischee der mürrischen, dummen Lastwagenfahrer haben. Man habe generell ein schlechtes Bild von ihnen. Sie seien dumme und unhygienische Alkoholiker.
Doch wie ist die Stimmung allgemein auf den Parkplätzen? Wie geht es den Fahrern zwischen den meterhohen und tonnenschweren Klötzen? Was unternehmen sie während ihrer obligatorischen Ruhezeit (= Ein Fahrer macht nach fünf Tagen Fahrt eine Pause von mindestens 45 Stunden)?

Man fühlt sich eingedrängt zwischen den LKWs. Auf den Raststätten konsumieren die Fahrer fast nie, da sie es sich gar nicht leisten können. Parkplätze auf Raststätten sind meistens unpassend oder gar nicht zu finden.

Ist kein Parkplatz zu finden, wird es problematisch für die Chauffeure. Sie müssen ihre Ruhezeit auf die Minute genau einhalten. Ihre Lenkzeit (= Fernfahrer dürfen pro Tag maximal neun Stunden fahren, wobei sie insgesamt 45 Minuten Pause machen müssen), welche von einem Fahrtenschreiber dokumentiert wird, dürfen sie nicht überschreiten. Ist allerdings kein Parkplatz zu finden, sind sie gezwungen weiterzufahren und auf der nächsten Raststätte auf einen passenden Parkplatz zu hoffen. In Industriezonen sind die Lastwagenfahrer nicht willkommen. Sie liefern die Ware, allerdings dürfen sie dort nicht übernachten.

Man ist wenig zu Hause und viel unterwegs. «Manchmal», sagt Petar, «geht es einem miserabel. Allerdings verneinen es viele Männer, da sie denken sie hätten keine Gefühle. Es ist eine Schwere; man kann nicht mehr und vermisst seine Familie. Viele seien auch abgestürzt, liessen sich von ihrer Familie scheiden, wurden zu Alkoholikern.»

 

Alkohol, Isolation und Depressionen

Die Gefahr des Alkoholismus ist aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen und der langfristigen Isolation sehr hoch. Ebenso ist die Depression eine Problematik, wovon die Chauffeure betroffen sind. Aus diesem Grund ist es in den EU-Ländern auch verboten, während der Ruhezeit die Zeit in der Kabine zu verbringen. Doch wer kontrolliert?
Die Kontrollen sind in Europa von Land zu Land verschieden streng. Insbesondere in Belgien bemüht sich die Polizei um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Lastwagenfahrer. Viele Fahrer meiden es deshalb, die Ruhepausen in Belgien zu verbringen. Stattdessen fahren sie nach Deutschland, da sie wissen, dass dort weniger kontrolliert wird. In der Schweiz ist die Pause in der Kabine nicht verboten.

 

Sensibilisierung und vermehrte KOntrollen

Die Lösung für die Problematik erfolgt in erster Linie durch eine moralische Sensibilisierung. Man sollte den sozialen und persönlichen Aspekt mehr berücksichtigen als den technischen Aspekt. Es gibt Fahrer, die mehrere Monate lang von Raststätte zu Raststätte fahren. Während dieser Zeit haben sie sehr wenig sozialen Kontakt und sind getrennt von ihrer Familie. Ebenso führen verschärftere und vermehrte Kontrollen zu einer Lösung.

Auch das strengste Gesetz ist unnütz, wenn es nicht kontrolliert wird.

Die Multimedia-Reportage über das Leben des Fernfahrers Petar Stefanovic wurde von Fabian Biasio und Susan Boos im Auftrag der Alpen- Initiative realisiert. Du kannst sie dir hier anschauen.

Text: Selgai Naqshbandi
Foto: Fabian Biasio