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Die Ästhetik des Abscheulichen: Asbest im Gespräch auf dem Sonnenberg11 min read

2. Juli 2019 8 min read

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Die Ästhetik des Abscheulichen: Asbest im Gespräch auf dem Sonnenberg11 min read

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Sie machen Musik, die ausgehalten werden muss. Musik, die schwer verdaulich oder gar nicht verdaulich ist. Es sind die Gefühle und Erfahrungen von Robyn Trachsel, welchen sie als Sängerin der Band Asbest aus dem Baslerischen nicht nur in den Texten, sondern auch in der Expression ihrer Musik starken Ausdruck verleiht. So wurde die neueste Komposition «Driven» gar als «Soundtrack zur Panikattacke» (RFV Basel, am 10. Oktober 2018) interpretiert.  

Asbest, ein Trio geprägt von Post-Rock und -Punk, wie auch mit gewissen metallischen Einflüssen, entstand vor gut zwei Jahren in Basel und produziert pechschwarzen Sound. Es scheint eine ästhetische Option des bevorstehenden Weltunterganges zu sein, eine auditive Form von saurem Regen, dessen Kraft das Leben der Erde auszulöschen droht. Vielmehr ist es aber der Unmut, welcher im Körper von Asbest steckt, der Unmut gegenüber der Welt und der Gesellschaft. Klingt jetzt einfach, ist es aber nicht. 

Robyn Trachsel, Sängerin der Band, widerspiegelt in ihrer Musik die Gefühle und die Position, welche sie in der Gesellschaft eingenommen hat und immer noch tut. Als Transfrau gleichermassen akzeptiert zu werden wie «die anderen» ist leider noch immer nicht der Fall, und auch Robyns eigene, innere Findungsphase ist längst noch nicht abgeschlossen. So meint sie, dass sie nun endlich zum ersten Mal in der Pubertät sei. 

Am Tag des Frauen*streiks nahmen sich Robyn Trachsel (Gesang & Gitarre) und Judith Breitinger (Bass) von Asbest auf dem B-Sides Festival Zeit für ein Interview mit uns. Zur Frauenquote im Line-Up des Festivals behaupteten sie, dass es eine notwendige Massnahme, jedoch desaströs sei, dass sowas existieren muss. 

Asbests Auftritt am B-Sides Festival. Es war der Tag des Frauenstreiks. – Bild: Jérémie Dubois

Unser Gespräch mit Asbest 

Jan Rucki: Ein Journalist hat eure Musik mal mit dem Titel “Der Soundtrack zur Panikattacke” beschrieben. Wie wirkte dies auf euch?

Robyn Trachsel: Für mich hat es zugetroffen. (lacht) Die meisten Songs sind nämlich in einer Zeit entstanden, während der es mir nicht so grandios ging, daher ist dies gar nicht mal so verkehrt. Es hat mich gefreut, dass man dies vielleicht auch heraushört. Aber es soll nicht nur das sein, es soll nicht so reflektiert wirken. Viel entstand einfach aus einem Bauchgefühl, vielleicht entstand dieser Ausdruck auch daher.

Judith Breitinger: Also ich finde auch es ist passend. Mich hat es fast ein bisschen stolz gemacht, als ich das gelesen habe. Ich selbst hatte zwar noch nie eine Panikattacke, aber ich habe schon oft miterlebt, als jemand eine hatte. Es muss was ganz Unangenehmes und Unerwartetes sein, das manchmal einfach nicht aufhört. Und wenn ich unser Album höre, dann passt das. Unsere Musik ist tatsächlich teilweise etwas unangenehm, ich erkenne uns da absolut wieder.

Jan: Dieses Gefühl hatte ich auch ein bisschen. Ich denke, dass da zwei grosse Aspekte mitspielen, nicht? Es könnte einerseits eure Position in der Gesellschaft, aber auch das Unwohlsein im persönlichen Leben sein. Was war es wirklich? Gerade in Bezug auf das private Leben?

Robyn: Naja, bei mir waren es die letzten paar Jahre, die eine sehr spannende, doch auch nicht sehr einfache Zeit für mich waren. Es waren Jahre mit sehr viel Umstellung, ich musste sehr viel lernen. Ich habe immer noch das Gefühl, dass ich jetzt mit 31 das erste Mal richtig pubertiere und nicht weiss wo oben und unten ist. Andererseits habe ich Soziologie studiert und hatte schon immer eine etwas kritische Sicht auf Dinge gehabt und irgendwie – ich weiss auch nicht – war es für mich das erste Mal, dass ich diese Gefühle in einem emotionalen Kontext umsetzen konnte.

Jan: Was war das denn konkret?

Robyn: Hey, konkret ist bei mir immer sehr schwierig (schmunzelt), aber grundsätzlich war es das Gefühl von “übers Ohr gehauen worden zu sein” von der Gesellschaft, beziehungsweise dass ich halt mit einer anderen Vorstellung davon, wie das Leben sein sollte, gross geworden bin. Halt dass man zueinander schaut. Dieses Gefühl kam auch ein wenig von der Uni. Schlussendlich folgte die ganze Arbeitswelt, wo ich merkte, dass ganz sich selbst zu sein auch nicht so einfach ist, obwohl man immer zu hören bekommt, dass man so frei sein soll, solange man dabei niemandem auf die Schuhe tritt. Das stimmt jedoch nicht ganz. Und deswegen ist es dieses betrogene Gefühl. Es ist halt einfach das.

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Jan: Das widerspiegelt sich ja auch sehr in eurer Musik. Was war es bei dir Judith? Vielleicht diesmal mehr in Hinblick auf die Gesellschaft?

Judith: Mein erster persönlicher Impuls wäre schon eher die Gesellschaft. Dadurch dass ich mit Robyn in einer Beziehung bin, habe ich damals sehr stark miterlebt, wie sie die Grenzen gespürt hat und was dies dann bei mir auslöste. Und hier stiess ich an die Grenzen der Gesellschaft, da ich mein Leben auch lebe. Unsere Texte haben daher nicht immer nur mit Roby zu tun, sondern auch ich kann mich sehr stark mit dem Gesungenen identifizieren.

Was es jetzt ganz konkret ist, das ist wirklich schwierig zu sagen. Aber es ist schon das, dass wir, so wie wir leben, auf gesellschaftlichen Widerstand stossen. Wir möchten uns den Erwartungen von ihr ja grundsätzlich nicht fügen. Ich wurde ja auch so sozialisiert, dass ich mich der Gesellschaft in einer gewissen Hinsicht hingebe. Dann ist es natürlich auch der innere Widerstand, der dadurch aufkommt.

Robyn: Man soll ja auf solche Erwartungen auch nicht so gedrillt sein. Wir nehmen in unseren Texten schon auch Bezug auf unser alltägliches Leben, doch unsere Musik ist so konzipiert, dass wir gewisse Funktionsweisen unserer Gesellschaft anhand eines alltäglichen Beispiels darstellen. Und im Idealfall ist es auch so aufgebaut, dass frau und man sich selbst auch da drin finden kann, falls es funktioniert. Und wenns funktioniert, dann wäre das cool! (lacht) Deswegen ist das Konkrete auch extrem schwer zu beschreiben. Die Welt, sei es auf politischer oder gesellschaftlicher Ebene, ist viel komplexer geworden, und obwohl wir über solch konkrete Dinge sprechen, werden wir der Komplexität selten gerecht.

Wucht, Macht, Kopfabschalten. Es ist der Bass, welcher den Sound von Asbest so stark prägt. – Bild: Jérémie Dubois

Jan: Ihr drückt euch ja mit extrem lauten Gitarren und kreischendem Gesang, welche den Zuhörenden in gewisser Hinsicht auch wehtun können, aus. Wieso ist es ausgerechnet das? Ich meine, es hätte ja auch durchaus etwas Elektronisches sein können. Wart ihr schon immer auf diesem musikalischen Trip?

Robyn: Also ich auf jeden Fall. Die ganzen Achtziger- Neunziger-Sounds dieser Genres waren mir schon immer sehr nahe. Ich fühlte mich schon immer wohl in dieser Musik. Aber bei dir ist es ja fast spannender (schaut zu Judith), oder? Ich höre ja schon sehr viel solche Musik.

Judith: Also ich höre eigentlich andere Musik. Die Musik, die wir machen, höre ich sehr gerne live, teilweise schon auch zuhause, aber sie wäre da nicht meine erste Wahl. Ich glaube, was mich da so gepackt hat, ist, dass ich vorher Gitarre gespielt habe und nun gemerkt habe, dass der Bass ein so wunderbares Instrument ist. Dass er so wummern kann und dass er so eine unfassbare Energie hat. Mit diesem Instrument einen solchen Sound erzeugen zu können, so im Vergleich zu einer Gitarre, das ist genau mein Ding. Dieses Instrument hält sich auch eher im Hintergrund und doch es ist so sehr mächtig.

Robyn: Ja und da wir sehr laute Musik machen, gibt sie mir das Gefühl, dass wir genau das Richtige machen, da man sich – ja – auch etwas ermächtigt fühlt dadurch. Man hat dann für eine Dreiviertelstunde das Zepter in der Hand und kann bestimmen, was jetzt läuft. Das ist ein Gefühl, welches ich sonst nicht wirklich so kenne. Es ist einfach ein unglaublich gutes Gefühl, mich dem voll hinzugeben und loslassen zu können.

Judith: Es ist auch ein Kopfabstellen für mich. Was ich auch mega toll finde, ist, dass ich die Musik auch wirklich spüre. Ich meine auch auf körperlicher Ebene. Natürlich ist es auch die emotionale Ebene, aber gerade durch diese Lautstärke geht die Musik durch meinen Körper durch.

Robyn (lachend): Das ist sowieso das Wichtigste, Bass und Schlagzeug. Alles andere ist Beigemüse.

Jan: Asbest, ein Baustoff, den man heute nicht mehr gerne verwendet, da er bei seiner Entfernung sehr toxisch wirkt. Wie kann man diesen Begriff mit euren Konzerten oder eben eurem Bandnamen verbinden?

Robyn: Hey, das ist lustig, denn ich habe das Büchlein, in dem unsere Namensentwicklung aufgeschrieben ist tatsächlich dabei. Als wir eine Band gründeten und dabei auch wussten, dass wir aggressive Musik machen wollten, sind wir auf diesen Begriff gekommen. Ich mag so kurze prägnante Begriffe. Ich habe fünf Seiten vollgekritzelt mit Begriffen und beim letzten der Wörter habe ich gedacht, shit, das ist ein verdammt geiler Bandname! Es war Asbest. Das Wort fährt ein, vermutlich wegen seinen Zischlauten bei der Aussprache. Ich habe dann sofort mal nachgeschaut, ob es denn schon eine so benannte Band gibt und fand dann raus, dass es tatsächlich mal eine deutsche Punkband gab, die so hiess, doch die es seit dann und dann nicht mehr gibt. Das war mein “Go”! (lacht)

Der dritte Mensch der Band, Jonas Häne, taktet das Desaster auf seinen Drums. – Bild: Jérémie Dubois

Jan: Hier am B-Sides Festival existiert eine fünfzig Prozent-Frauenquote der Künstlerinnen und Künstler auf den Bühnen. Was haltet ihr, gerade jetzt auch anlässlich des Frauen*streiks heute, davon?

Judith: Ich persönlich finde es nicht schlecht, weil ich glaube, dass es einen Ist- und einen Soll-Zustand gibt. Der Soll-Zustand beschreibt eine Situation, in der es sowas gar nicht geben müsste und es von alleine passieren würde. Also dass es mal ein B-Sides mit 70 Prozent Frauenanteil und eines mit 40 Prozent Frauenanteil gäbe. Einfach dass man sich darauf gar nicht achten müsste. Den Ist-Zustand sehe ich momentan so, dass man sich zwar gar nicht darauf achtet, aber es auch nicht funktioniert. So passiert es schnell einmal, dass viele Bands spielen, in denen keine Frauen vertreten sind, und das bringt viele Probleme mit sich. Wenn zum Beispiel viele Frauen vor einer reinen Männerband stehen, identifizieren sich die Frauen vielleicht weniger mit denjenigen auf der Bühne. Sie haben vielleicht auch gar nicht den Gedanken, dass sie selbst sowas auf die Beine stellen könnten. So ein „Ach, das könnt‘ ich doch auch mal ausprobieren“ kommt so viel weniger vor. Und damit man zu diesem neuen Soll-Zustand kommt, der solche Situationen verändert, finde ich eine Frauenquote als Massnahme ziemlich gut. Aber klar soll es primär um die Musik gehen und darum, dass die Musik gut ist. Ich denke die Chance ist, dadurch dass man auf den Frauenanteil achtet, auch ganz neue Bands kennenlernt werden können, die man vorher nicht gekannt hat und so lernt man vielleicht auch die Art von nicht männlich sozialisierten Menschen auf der Bühne kennen. Das empfinde ich nochmals als Chance insbesondere für Männer, die dann sehen, dass sie nicht das Klischee von sich geben müssen, sondern auch ganz gerne mal ruhig auf der Bühne stehen dürfen.

Robyn: Ich sehe das ganz ähnlich wie Judith. Ich finde auch, dass sie den Soll-Zustand sehr gut beschrieben hat und dass es nun durchaus ein guter Weg da hin ist, diese Strukturen aufzubauen, auch wenn ich es als sehr schade empfinde, dass es diese geben muss. Was ich jetzt auch noch ganz interessant finde, ist, dass in einem Artikel, den ich kürzlich gelesen habe, stand, dass die Zukunft des Rocks bei den Frauen liege. Diese vierzig Jahre mit der „Dicke-Hose-Rockzeit“ sind nun vorbei, das funktioniert nicht mehr so. Und deswegen finde ich schön, dass sich durch diese Entwicklung eine neue Möglichkeit für die Rockmusik öffnet. Diese Frauenquote ist also nun ein nötiges, unschönes Mittel, welches aber Hoffnung schöpft, dass es sie in einiger Zeit nicht mehr nötig sein wird.

Jan: Gibt es was, das ihr zum Schluss noch gerne sagen möchtet?

Robyn: Heute ist der Frauen*streik und ich habe ihn auch während der Arbeit mitverfolgt. Mich hat es unglaublich gerührt, zu sehen wie viel hier passiert. Für mich ist es deswegen ein ganz besonders emotionales Konzert, da es mich persönlich betrifft. Ich glaube, wir sind heute beide sehr emotional gewesen. Wir hoffen auch, dass wir dieses Thema noch mehr in unsere Musik integrieren können, um noch mehr Menschen, die sich vielleicht noch nicht so mit diesem Thema auseinandergesetzt haben, abholen zu können.

Jan: Danke für eure Zeit!

Asbest spielte am gleichen Abend am B-Sides Festival. Die Atmosphäre war aussergewöhlich und ja, die Musik fast etwas unangenehm. Doch trotz all dem Unmut und den zerstörerischen Ausdrücken während des Konzertes bekamen die Zuschauer ein Gefühl der Gemeinschaft, des Zusammenhalts und der Solidarität. Diese Gegensätzlichkeiten machten den Auftritt von Asbest zu etwas ganz Einzigartigem.

Text & Interview: Jan Rucki
Bilder & Titelbild: Jérémie Dubois

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