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Fridays for Justus – kaffee, kippe, konversation7 min read

13. Januar 2020 5 min read

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Fridays for Justus – kaffee, kippe, konversation7 min read

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Wenn man eine*n Raucher*in fragt, was denn das Gute am Rauchen sei, dann würde diese*r vermutlich darauf antworten, dass es die Gespräche sind, die man beim Rauchen führt. Ich gehe dieser Aussage auf den Grund. Mit offenen Ohren, Feuerzeug und meinem treuen Aufnahmegerät treffe ich mich mit verschiedensten Menschen auf Kaffee und Kippe.

Heute treffe ich mit Justus, der gerade 21 geworden ist. Justus ist einer dieser Menschen, deren soziale Netzwerke scheinbar unendlich reichen, zumindest in seiner Sparte. Er ist seit mittlerweile einem Jahr bei der deutschen Bewegung von “Fridays for Future” (FFF) aktiv und kümmert sich dabei vor allem um die Marketing-Kampagnen auf Bundesebene.

Wir treffen uns in einem kleinen Cafe im Stuttgarter Westen. Ich erkenne ihn sofort von Weitem. Justus ist zwei Meter groß und ziemlich breit gebaut, jemand, den man in einer Menge (zum Beispiel an einer Demo) direkt sieht. Normalerweise würde er mit mir einen Kaffee trinken, aufgrund seiner Erkältung ist es heute aber nur ein Zitronentee. Die Kippe darf aber natürlich nicht fehlen.

Unser Gespräch dreht sich natürlich als erstes um FFF und was er dort so macht.

Also ich war nie so der „Shotcaller“, der furchtbar viel zu sagen hatte. Zwei, drei wunderbare junge Damen, also Lotte, Lisha und Lucia, haben FFF hier aufgebaut. Mittlerweile sind es dann auch ein paar mehr geworden. Deswegen braucht es mich ja gar nicht so.

Mir fällt direkt diese Formulierung auf: „wunderbare, junge Damen“. Auf dem Papier (beziehungsweise auf dem Bildschirm) sieht das vielleicht komisch aus, aber er sagt es mit Respekt in der Stimme – leicht bewundernd.

Ich bin sehr schnell auf die Bundesebene gerutscht und hab da dann die Forderungen mitgeschrieben beziehungsweise mitformuliert. Inhaltlich bin ich nie so gut gewesen, dass ich da wissenschaftlich gut herangehen konnte, aber dafür gibt es ganz viele andere schlaue Leute.

So habe ich Justus schon bei unseren ersten Treffen (nach einer Podiumsdiskussion) wahrgenommen: Eher der, der im Hintergrund agiert und die richtigen Leute in die richtigen Positionen bringt.

Und dann ging es in Richtung Kooperationen, jetzt gerade spezialisiert auf Influencer, also wir schauen aktuell einfach, wie wir am besten mit Influencern zusammenarbeiten können. Campaigning, Strategy, sowas in die Richtung. Sehr viel Denken, also gar nicht mal so klassisch, wenn man an einen Streiker denkt. Ich mache dann eher die Arbeit im Hinterzimmer, also nicht in einem Hinterzimmer – in meinem WG-Zimmer sitzen und Telefonkonferenzen abhalten und über Sachen beraten.

Manchmal vergisst man, vor allem wenn man sich die Bilder von den Demonstrationen anschaut, dass FFF anfangs nur eine sehr kleine Bewegung war. Ein paar Schüler und Studierende, die sich am Beispiel Greta Thunberg auch auf die Straße gestellt haben. Mittlerweile stehen dann bei den Demonstrationen Hunderttausende auf der Straße.

Also wir hatten Hilfe. Chris Schaumann, mittlerweile ein Freund von mir, war Global Vice President in der Online-Marketing-Abteilung von Microsoft – einer dieser “Global Players”, der eine Online-Marketing-Kampagne für den 20. September und auch für den 29. November ins Leben gerufen hat. Und da hat er einfach versucht, seine Erfahrungen aus dem Online-Marketing bei großen Firmen auf das Streiken anzuwenden. Bei der Kampagne für den 20. September kann man davon ausgehen, dass wegen dieser Kampagne 100.000 Menschen auf die Straße gegangen sind. Das kann man nicht hundertprozentig sagen, aber es ist relativ genau darauf zurückzuführen.

Wenn man sich so eine der großen Demos anschaut, dann sieht man zwar Menschen jedes Alters, aber es fällt schon auf, dass es vor allem sehr junge Leute sind. Vor allem Schüler, hier und da mal Studenten. Ich selbst finde es eigentlich sehr schade, dass es nicht „meine Generation” war, die vor fünf, sechs, sieben Jahren auf der Straße stand.

Ja, weil wir damals nicht Greta Thunberg hatten.

Stimmt, sie und ihr Schild „Skolstrejk för klimatet“ („Schulstreik für das Klima“) gibt es erst seit August 2018. Für viele war sie der Auslöser, auch auf den Klimawandel aufmerksam zu machen. Für Justus anscheinend auch.

Ja, auf jeden Fall. Ich habe Greta persönlich noch nicht getroffen. Aber ich habe zum Beispiel mit Luisa Neubauer sehr viel zu tun, die ja quasi die deutsche Greta Thunberg ist, und ich finde es unfassbar beeindruckend, was diese Frauen geleistet haben – dass sie trotz allem Gegenwind auf die Straße gegangen sind.

Tatsächlich bin ich immer wieder fasziniert davon, was FFF im letzten Jahr geleistet hat, innerhalb eines Jahres ist Klimaschutz in aller Munde. Vieler der wissenschaftlichen Erkenntnisse, die heutzutage fast jedem bewusst sind, sind bereits seit Jahrzehnten bekannt, allerdings haben sich die Wenigsten dafür interessiert. Außerdem kann jetzt niemand mehr von einer „Politik-uninteressierten Jugend“ sprechen, wie es noch in meiner Schulzeit der Fall war – heute geht die Jugend für ihre Zukunft auf die Straße und zeigt, dass die Politik nicht mehr so weiter machen kann und darf. Früher im Gemeinschaftskunde-Unterricht war für mich „Demonstrationsrecht“ immer etwas Abstraktes, ich wusste nicht, was es bewirken sollte, sich auf die Straße zu stellen. Die Leute, die jetzt in die Schule gehen, sehen das jeden Freitag.

Das finde ich wahnsinnig wichtig. Ich habe den Kontrast jetzt selbst erlebt, ich war in Istanbul auf einer Podiumsdiskussion. Und da hört man ganz, ganz andere Töne von den Streikenden selber. Die haben da ganz andere Probleme, was Meinungsäußerung und Ähnliches angeht, als wir hier in Deutschland. Wenn bei uns eine Podiumsdiskussion mit einem Politiker ist, darf jeder frei diskutieren und kritisieren, in anderen Ländern muss man dann Angst haben, abgeknallt zu werden. Das ist einer der besten Sachen, die wir in Deutschland haben.

Auf offener Straße nicht abgeknallt zu werden, finde ich persönlich auch ganz gut. Allgemein, unsere europäische Gesellschaft ist progressiver als man manchmal denkt, das fängt ja schon bei der Gleichstellung von Mann und Frau an (an der wir aber noch weiter arbeiten müssen), aber dass Frauen bei Demonstrationen auf Podien stehen und so das politische Geschehen beeinflussen, wäre vor einigen Jahrzehnten undenkbar gewesen.

Ja und vor allem Greta, aber auch Luisa (Neubauer, die „deutsche Greta Thunberg) und all die anderen sind absolute Vorbilder für mich. Und es ist scheisse, dass wir heutzutage noch Themen wie #metoo oder den Gender Pay Gap haben. Das ist doch alles nicht zeitgemäß, es war jetzt einfach Zeit, dass die Frauen die Führung übernehmen. Und zwar nicht nur Angela Merkel, die sich männliche Fehler erlaubt.

Jaja, Angela Merkel. Vor einigen Jahren wurde sie als die „mächtigste Frau der Welt“ bezeichnet. Vermutlich ist sie das auch irgendwo immer noch so. Auch wenn ich mit ihr – politisch gesehen – nicht immer übereinstimme, habe ich doch Respekt vor ihrer politischen Karriere, ich glaube auch, dass sie irgendwo den Grundstein dafür gelegt hat, dass Frauen (vor allem in Deutschland) sich bewusst darüber sind, dass auch sie in einer Führungsposition sitzen können. Nicht nur die Männer.

Ja, das kann schon sein. Zu Angela Merkel weiß ich nicht genau, was ich sagen soll. Auf der einen Seite finde ich sie wahnsinnig beeindruckend. Und andererseits sehe ich halt, dass sie in ihrer Rolle als Staatsoberhaupt die typischen Fehler eines jeden Politikers macht, also zumindest aus meiner Sicht. Dafür kann sie jetzt natürlich nicht wirklich etwas, als Staatsoberhaupt muss man nun mal Kompromisse machen. Ich finde es schade, dass Frau Merkel auf ihre letzten Tage nicht noch einmal ein Signal in Richtung Klimaschutz setzt – vor allem auch als ehemalige Umweltministerin. Aber das ist halt nicht passiert und es wird vermutlich auch nicht passieren. Deswegen muss jeder Bürger, der sich in irgendeiner Form um die Zukunft seiner Kinder, Neffen, Nichten, Enkel, was auch immer sorgt, eigentlich dazu verpflichtet fühlen, sich für Klimaschutz einzusetzen. Gerade in Deutschland, gerade in einem Land, in dem es möglich ist, auf die Straße zu gehen und diese Freiheit auszuleben.

Das Gleiche gilt natürlich auch für die Schweiz. Oder für jedes andere einigermaßen freie Land. Wenn man einer Auffassung ist, sollte man für diese auch kämpfen. Vor allem wenn man noch in einem Alter ist, in der man noch progressiver als die vergangene Generationen ist und sein darf.