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Wenn Papa seine Scheide dehnt – Transgender und Familie4 min read

26. Januar 2021 3 min read

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Wenn Papa seine Scheide dehnt – Transgender und Familie4 min read

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Ist normal zu sein abnormal oder die Abnormität normal? Der Drang nach einer «normalen», perfekten Familie ist eine Obsession unserer westlichen Gesellschaft. Doch dieses «normal» trügt. Das zeigt uns die Regisseurin Malou Reyman in ihrem neusten Film «A perfectly normal family», welcher im November auf die Leinwände kam. Denn: Wenn ein “Papa” nicht im richtigen Körper steckt, wird seine Vaterrolle schwieriger. 

Agnete sitzt in ihrer täglichen Routine auf dem Sessel.  Es läuft entspannende Musik im Hintergrund und die Beine sind gespreizt. Es ist ein ungewohntes Bild für die zwölfjährige Protagonistin Emma, als sie ihren Papa beim täglichen Tamponieren ertappt. An Szenen dieser Art muss sie sich aber wohl gewöhnen müssen, denn vor einigen Monaten hat sich ihr Papa Thomas zu Agnete operieren lassen. Die Familie, wie sie früher war, existiert nicht mehr und muss nun wieder neu aufgebaut werden. Der Film von Malou Reymann handelt vom Umgang mit Geschlechts- und Identitätsumwandlung innerhalb einer Familie und schafft einen Einblick in eine solche, die sich von einer heteronormativen Zusammensetzung einer Familie lösen muss und mit Verlust und Identitäten kämpft.

Der Film von Malou Reymann zeigt wunderbar, was passiert, wenn der innigste Persönliche Wunsch eines Familienmitglieds die ganze Familie auf den Kopf stellt. (Bild: Xenixfilm)

Mit feiner und ruhiger Kameraführung schafft es Reymann gezielt, das emotional geladene Thema mit einer bedrückenden Ruhe und Humor auf die Leinwand zu bringen. Anstatt das Schicksal von Agnete zu dramatisieren, werden Gefühle und Reaktionen realitätsnahe gezeigt. Gekonnt bringt Reymann den Blickwinkel und die Gefühle der Protagonistin Emma und weiterer Charaktere durch gezielte Kamerapositionierung herüber.

Sie versetzt das Publikum in eine Nostalgie, in der diese Familie schwebt, indem sie immer wieder frühere Videoaufnahmen der Familie in die Geschichte einsetzt und eine damals noch normale, «perfekte» Familie zeigt. Diese Aufnahmen erzeugen sehr ambivalente Gefühle in einem, obwohl man für die positive Entwicklung dieser neuen Familienbeziehung mitfiebert. War es nicht doch besser für die Kinder, wie es vorher war? Agnete zu sein war aber schon lange Wunsch gewesen für Papa Thomas.

Wandel der Wahrnehmung von Transgender und Familie

Die Auseinandersetzung mit dem Thema Transgender wird in diesem Film aus einer anderen Perspektive mit Schwerpunkt auf die Eltern-Kind-Beziehung gezeigt. So ist die Protagonistin viel mehr die Tochter Emma als Vater Agnete. Der Wechsel dieser Perspektive greift in Bezug auf Transgender ganz andere Themen auf als es andere Filme mit dem Fokus auf Transgender tun. Der Film knüpft an einem aktuellen gesellschaftlichen Wandel des Verständnisses von Verwandtschaft  an, kritisiert die gesellschaftlich hergestellte ideale Familie, wirft Fragen über Geschlechterrollen und über was «normal» ist auf.

In diesem Film dreht es sich nicht um die Frage, wie die Gesellschaft auf die Transformation zu Agente reagiert, sondern vielmehr um ein konkretes, persönliches Beispiel innerhalb einer Familie und was Familie eigentlich überhaupt ist. Es muss sehr wohl in Betracht gezogen werden, dass es bei dieser Familie um eine weisse, privilegierte Familie in Dänemark handelt und dementsprechend kontextualisiert werden muss. Trotzdem trägt dieser Film mit seinem Einblick in ein konkretes Beispiel dem Engagement bei, das Thema Transgender aus möglichst unterschiedlicher Perspektive zu beleuchten und auf die verschiedene Facetten dieser Menschen einzugehen.

Regisseurin Malou Reymans eigene Erfahrung

Gegenüber Xenixfilm verrät Reyman, dass die Inspiration für diese Geschichte die eigene Erfahrung war, mit einem Trans-Vater aufzuwachsen. Sie kenne das Gefühl gut, einen Menschen zu lieben, der anders ist als Andere und wollte mit dieser authentischen Erfahrung die Auseinandersetzung von Kindern mit diesem Wandel zeigen. Dies gelingt ihr durch die Rolle von Emma, die will, dass alles bleibt wie es ist. Und dann ist da auch ihre Schwester Caroline, die damit umgehen kann, dass sich ihr Vater immer mehr und mehr verändert.

Die Tagebücher ihres Vaters halfen Reyman bei der Drehbucharbeit. Sie widerspiegeln seine Entwicklung, um zu sein, wer er wirklich ist. So wurde ihr auch bewusst, wie gross die Herausforderung ist, während diesem Prozess Kinder und eine Familie zu haben.

Reymann will mit diesem Film eine Geschichte erzählen, womit sich andere Menschen in dieser Situation identifizieren können. Sie hätte auch den inneren Prozess von Agnete zeigen können, doch damit habe sie sich nicht wohl gefühlt, meint sie. Mit der eigenen Erfahrung, die sie in ihrer Kindheit machte, wirken die Charaktere und die Handlung im Film sehr authentisch. So lässt sich anhand dieses Filmes zeigen – normal sollte nicht ein idealisierender Wert sein, an dem sich die Gesellschaft halten sollte. Denn «normal» ist nichts und niemand.

Titelbild: Xenixfilm

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