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Vokalexperimente und Hardstyle-Ambient im Sitzkonzert: DJ Clope & IOKOI am Endless Bazaar7 min read

7. Juni 2021 5 min read

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Vokalexperimente und Hardstyle-Ambient im Sitzkonzert: DJ Clope & IOKOI am Endless Bazaar7 min read

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Der Luzerner Klub Kegelbahn ist bestuhlt. Ganz konform wird so in den sonstigen Tanz- und Raveräumlichkeiten nun gesessen und gelauscht. Am letzten Dienstag wurde eine neue Veranstaltungsreihe durch die Künstler IOKOI und DJ Clope eröffnet. Schon der Auftakt schien eine gewisse Richtung aufzuzeigen, in welche der «Endless Bazaar», so der Name der Reihe, sich auszurichten gedenkt. Nämlich in die Richtung des Neuen, des Spannenden und des Unbekannten. In die Richtung der Zukunft. Ein wunderbarer Auftakt in eine hoffentlich langanhaltende Saison der Luzerner Kunst- und Kulturszene.

Eingeleitet wurde der Abend von der Klangkünstlerin Mara Miccichè aka IOKOI. Die Musikerin überzeugt mit ihren vokalen Klangexperimenten und tastet dabei auch die Grenzen der Möglichkeiten der Kombination aus Stimme mit elektronischer Verzerrung ab. Sie kombiniert Klang- mit Wortspielen, elektronische Sounds und verzerrte Stimmaufnahmen mit Livegesang, sonstigen vom Mund erzeugten Klängen oder auch Samples. Innerhalb ihrer Performance erlebt man Emotionen der Spannung, der Verwirrung, oder der Verwunderung. In Momenten fällt es dem Zuschauer schwer, Vokales und Digitales zu unterscheiden. Gebannt lauscht man den Sounds der Künstlerin und versucht zu erkennen, ob sie live ins Mikrofon summt oder ob der Klang vorher aufgenommen, oder gänzlich abseits ihrer Stimme produziert wurde. Ein sehr interessantes Konzert, welches durch seinen experimentellen Reichtum unterhält und begeistert – und auch in Abschnitten eine Atmosphäre aufbringt die berührt.

Die Stimme als eigenes Instrument

Es sind Live-Plunderphonics, welche die Künstlerin präsentiert. Ab und zu werden englische oder französische Spoken Word-Segmente oder Samples eingespielt. Stilistisch erinnert das Klangkonstrukt, vielleicht auch insbesondere durch die gesprochenen Sequenzen, an Laurie Anderson, aber auch an den Sound der frühen elektronischen Klangexperimente der 80er-Jahre, die oftmals auf der Ebene der Verzerrung und Verfremdung akustischer oder vokaler Töne agierten. Die Stimme erinnert teilweise an die der experimentellen Popsängerin Björk. Aber auf oder um diese bewusst oder unbewusst eingeflossene Inspirationen gebaut, generierte die Künstlerin ein Klangkonstrukt welches von einer doch einzigartigen und souveränen Qualität ist. Es ist ein neuer, eigener Sound, den die Künstlerin damit erschuf.

Konzeptuell beschäftigt sich IOKOI bei diesem Projekt besonders mit der Materie der Selbstwahrnehmung, der Wahrnehmung durch andere, die sich auf einen projiziert, und verbindet dies auch mit der Thematik der Migration. Was an einer Stelle des Konzerts besonders plakativ zum Vorschein trat, als der gesungene Text aus den sich abwechselnden Wörtern Other und Same aufgebaut war und sie dies zusätzlich mit einem traditionellen albanischen Lied («We live among Strangers» von Yona Friedman) kombinierte. Auf der Basis jener Gebiete und Motive entstand auch ein interdisziplinäres Kunstprojekt, bei welchem Mara Miccichè den akustischen Teil übernimmt und mit zwei visuellen Künstlerinnen – Michele Foti und Sarah Parsons – und der olfaktorischen Künstlerin Klara Ravat zusammenarbeitet. Somit stellte diese Performance nur ein Klangfenster zu einem noch grösseren und weitergreifenden Projekt dar.

Ekstatischer Musikmix aus der Westschweiz

Fortgeführt wird das Sitzkonzert nach kurzer Pause von DJ Clope. Der junge Künstler aus Lausanne präsentiert am Mischpult eine Achterbahn der Atmosphären und ein Rummelpark der Genres. Er mischt Stimmungen, Emotionen und diverse Genres zu einem fluiden Soundgebilde. Über Samples von Hyperpopkünstlern wie 100gecs oder Sophie, dem Trapkünstler Ecco2k, bis hin zu französischem Afrogrime, Hardstyle, EDM, Trance und Ambient ist alles vorzufinden. Durch diese bunte Kombination der Stilrichtungen und Eindrücke entsteht eine Spannung innerhalb des Saals: Das Publikum tanzt auf den Stühlen mit, so gut es geht, kreischt, pfeift und wippt. In DJ Clopes Set findet man Begeisterung, Melancholie, Ekstase und Sehnsucht.

Ich habe den jungen DJ aus Lausanne auf ein Gespräch auf einer Bank an der Baselstrasse getroffen.

Rechts im Bild: Der junge Westschweizer DJ Clope.

 

Im Gespräch mit DJ Clope

Elia Brülhart: Würdest du deine Musik als Avantgarde beschreiben?

DJ Clope: Ich mag den Ausdruck Avantgarde eigentlich nicht. Ich glaube mit dieser Beschreibung würde ich meine Musik über die anderer setzen und das möchte ich nicht. Aber ich sehe was du damit meinst. Also in diesem Sinne weil ich versuche verschiedene Stile und Genres zu mixen und zu verschmelzen. Bei meiner letzten EP (“Sea of Clouds”) zum Beispiel mixte ich Ambient mit Trance, also zwei Genres, die zwar schon beide lange existieren, aber was ich versuche ist, mit dieser neuen Kombination eine dynamische Stimmung ohne Drums zu generieren. Damit ist es vielleicht etwas avantgardistisch. 

EB: Würdest du dich oder deinen Sound in das Genre oder die Szene des Deconstructed Club einordnen?

DC: Hm ja, ich denke schon, dass ich Teil dieses Genres bin. Aber ich ziehe doch besonders grosse Inspiration aus kommerzieller Musik. Rap, EDM, Hardstyle, Happy Hardcore. Ich habe schon auch Ähnlichkeiten mit Deconstructed Club in meiner Musik. Beispielsweise, dass ich nicht immer einen laufenden Beat habe.

EB: Also wäre Post-Club vielleicht treffender?

DC: Ja, denn ich beziehe meine Inspirationen vor allem aus der Vergangenheit und setze es jetzt zeitgenössisch um. Und diese Vorgehensweise ist ja eigentlich auch in der Deconstructed Club Szene dabei.

EB: Ist denn in diesen Inspirationen auch eine persönliche Nostalgie enthalten? Hast du in deiner Jugend oder Kindheit Trance, EDM oder Trap gehört?

DC: Ja, in meiner Jugend hörte ich vor allem EDM. Besonders die Schwedischen DJ’s Swedish House Mafia oder Avicii. Mit dieser Musik begann ich auch erstmals zu mixen, also bin ich sehr stark davon inspiriert. Danach kam ich mit Rap in Kontakt und mit dieser Kombination bildete sich bei mir schon ein gewisser Überblick. Deswegen will ich jetzt all diese verschiedenen Styles mixen und kombinieren.

EB: Und wann hast du mit dem Kombinieren oder mit Deconstructed Club gestartet?

DC: Nach Rap und EDM hörte ich besonders viel aus der UK Bass Szene. Viel Grime und viel Techno. Da fand bei mir also diese Zwischenphase statt, wo ich den Underground erkunden musste, bevor ich wieder zurück fand zu den kommerziellen Inspirationen.

EB: Wenn wir gerade von Grime sprechen: Auf der Compilation vom Label Sirens ist auch der Künstler Tropical Interface vertreten, der auch in der Eco Grime Szene aktiv ist. Diese beschäftigt sich besonders mit Themen des Klimawandels, der Umweltverschmutzung, aber auch mit Transhumanismus und ist ebenfalls in der Deconstructed Clubs Szene unterwegs. Vor allem in der frühen Zeit, mit Acts wie Rabit oder Lotic, ging es um die Darstellung des Gefühls der Angst von Queers und auch POC in Clubs, ehe dann Safe Spaces wie Ball Rooms aufkamen. Das ist ein Konzept der Musik. Hast du in deiner Musik auch eine Message oder ein Konzept?

DC: Nicht ein Konzept in dieser Form. Ich versuche auszulösen, dass die Zuhörer innerhalb des Sets verschiedene Emotionen fühlen. Zum Beispiel, dass ich nach einem fetten Drop, bei dem alle tanzen wollen, blitzartig zu Ambient wechsle, mit dem ich versuche, eine warme Atmosphäre und ein Gefühl der friedlichen Sicherheit zu schaffen. Also versuche ich innerhalb eines Sets auch die Emotionen der Zuschauer einzubringen. Ich mag keine Sets, die monoton sind, zum Beispiel solche Technosets, bei denen es keinen Unterschied macht, wann und wo man einen Track einspielt.

EB: Und wie komponierst du deine Musik? Brauchst du Synthesizers oder Samples oder auch Plunderphonics?

DC: Ich startete mit Synthesizers und Ableton kombiniert, aber dann merkte ich, dass mein Prozess viel effizienter wurde, indem ich Plugins verwendete. Also kaufte ich mir einige Sample Packs. Momentan brauche ich besonders «Serum». Mittlerweile verwende ich nur noch Ableton mit Plugins.

EB: Wir redeten schon über ältere nostalgische Inspirationsquellen. Gibt es denn auch zeitgenössische Künstler, die dich inspirieren?

DC: Ja natürlich, ich glaube, meine Hauptinspiration bei aktiven Künstlern wäre wahrscheinlich Arca, vielleicht zwar nicht für die Kompositionen, aber sie inspirierte mich damit, dass sie etwas produzierte, was ich so noch nicht kannte in der Musik. Sonst grosse Inspirationen wären noch Ecco2k, Bladee und die SadBoys, aber natürlich auch Ambient Künstler wie Ssaliva oder Malibu, die grossartig sind. Und in letzter Zeit habe ich mir besonders Sounds der neuen Rapszene aus Paris angehört, vor allem errwalou, oder wasting shit, und ich glaube, dass diese wichtig sein werden für die Zukunft des französischen Raps. Sie sind Avantgarde. 

EB: Welcher ist der letzte Song den du dir angehört hast?

DC: «Bijoux» von errwalou und tommy moisi

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Bilder: Caroline Schnider

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