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Das Lettera: Die neue Vision eines Literaturfestivals8 min read

15. März 2022 6 min read

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Das Lettera: Die neue Vision eines Literaturfestivals8 min read

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Von Freitag bis Sonntag waren wir für euch auf dem Lettera, der Neuauflage des Literaturfests Luzern. Wir erzählen euch, welche Lesungen wir gehört haben und was das Festival mit der Poolatmosphäre so einzigartig macht. Wie die Feuertaufe war, erfahrt ihr hier.

Zwei Jahre wurde das neue Konzept mit ebenso neuem Team entwickelt. Neben zahlreichen Lesungen bekamen auch 46 Zentralschweizer Verlage beim Buchmarkt die Möglichkeit, ihre aktuellen Werke vorzustellen. Am Freitagabend ging es mit der Eröffnungslesung von Dana Grigorcea und Franziska Bruecker los. Wir kamen aufgrund eines Interviews mit Joachim B. Schmidt gerade rechtzeitig zur Ansprache des Präsidenten des Literaturfests, Pascal Zeder. Er schilderte die Vorbereitungen, Zusammenarbeiten und natürlich seine grosse Freude, gemeinsam mit seinem Team endlich das Festival coram publico eröffnen zu können.

Joachim B. Schmidt liest aus TELL – Foto: Kim Damotta

SCHWIMMENDE KÜHE AUF DEM VIERWALDSTÄTTERSEE

Pünktlich um 19:30 Uhr erscheint vor nahezu ausverkauften Reihen Joachim B. Schmidt. Der in Island lebende Bündner liefert mit «TELL» eine Neuinterpretation der helvetischen Heldensaga. Auf das Werk und den Autoren gehen wir im demnächst erscheinenden Interview noch näher ein. Die Lesung unter Moderation des Historikers Valentin Groebner erfolgt in drei Teilen und wirkt durch die langatmigen Fragen etwas staccato. Dennoch bleibt Schmidt souverän und erntet vor allem mit seiner Kuhgeschichte Applaus und viele Lacher. Gelächter erntet tatsächlich auch der Historiker durch seine Anmerkung «Die Kuh bleibt die heimliche Heldin der Schweizer Literatur». Nach gut siebzig Minuten ist der Auftakt gelungen. Schmidt wirkt zufrieden, was er mit Platz Eins der Schweizer Bestsellerliste auch sein darf.

Wir diskutiern  noch etwas mit ihm im Backstagebereich über die Lesung. Joachim ist begeistert von dem Fakt, in einem stillgelegten Pool gelesen zu haben. Sowas ist schon etwas Besonderes. An dieser Stelle auch nochmals ein grosses Merci an Robyn Muffler. Sie ermöglichte, sowohl solche Autor:innen zu buchen als uns auch uns Zugang zu allen Ebenen des Festivals zu gewähren. Ebenso ein Dankeschön für die kulinarische Verköstigung an Eva und Elenora.

Julia von Lucadou – Foto: Kim Damotta

JUGENDSPRACHE, DIE SCHOCKT

Kurz bekommen wir noch die letzte Lesung am Abend mit. In dieser stellt Julia von Lucadou ihr brandneues Werk «Tick Tack» vor. Stolz sei sie und ganz angespannt, da das Luzerner Publikum einer Prämiere innewohnt, denn ihr Werk erscheint erst später im März. Das doch etwas betagtere Publikum wirkt manchmal etwas schockiert aufgrund der Ausdrücke und der Jugendsprache. Von Lucadou bleibt aber ganz gelassen und ist vertieft in ihren Text.

Während am zweiten Festivaltag der Nachmittag der Kinder- und Jugendliteratur gewidmet ist, setzen wir abends unseren Fokus auf Emine Sevgi Özdamar. Die Autorin ist für den Leipziger Buchpreis 2022 mit ihrem aktuellen Werk «Ein von Schatten begrenzter Raum» nominiert. Bereits in ihrer Vergangenheit konnte die 1971 aus Istanbul geflüchtete Dame diverse Preise einheimsen. Die gelernte Schauspielerin kommt mit Literaturexpertin Bernadette Conrad zur Abendlesung in den Pool. Letztere wurde aufgrund eines krankheitsbedingten Ausfalls extra mit dem Nachtzug aus Berlin «eingeflogen».

Emine Sevgi Özdamar mit Moderatorin Bernadette Conrad Foto: Kim Damotta

«Ich wollte in den Chansons von Edith Piaf leben»

Bei dieser Lesung liegt der Schwerpunkt mehr auf dem Dialog als auf den gediegen vorgetragenen Texten der Türkin. Conrad stellt persönliche Fragen zur Flucht und wie es damals im Ostberlin der 1970er Jahre so gewesen ist. Gebannt lauschen die Zuhörer:innen den Ausführungen der 75-Jährigen. Die amüsanteste Geschichte, neben den teils traurigen, erschreckenden, ist jene, wie sich die damals junge Emine auf nach Paris macht. Sie suchte den Schweizer Schauspiellehrer Benno Besson, bei dem sie unbedingt das Handwerk erlernen wollte. Richtig aufregend berichtet sie von der Reise nach Paris. Von den Turbulenzen und den Schwierigkeiten ohne Aufenthaltsgenehmigung. Immer wieder nimmt sie uns auch in ihrer Lesung mit in diese spannende Welt. Jemandem, der in den Songtexten von Edith Piaf leben würde, verzeiht man auch gerne eine Überziehung von einer guten Viertelstunde. Zu spannend ist es, was sich zwischen Berlin, Paris und dem fern-befremdlich wirkenden Istanbul abspielt. Sie wird mit lautem Applaus verabschiedet und bedankt sich für die Aufmerksamkeit.

Wortmagier Fiston Mwanza Mujila mit Saxophonist Patrick Dunst Foto: Kim Damotta

SPOKEN WORD MIT LIVE MUSIK UND VIDEOSEQUENZEN

Eine völlig andere Lesung erwartet uns zum Ausklang des Abends. Fiston Mwanza Mujila, der mit dem Saxophonisten Patrick Dunst eine aussergewöhnliche Performance abliefert. Unglaublich, wie laut, wirr und faszinierend wir einer Mischung aus Spoken Word, Live-Musik und Videoinstallation beiwohnen können. Einige Zuhörer:innen wirken etwas verschreckt, da auch die leicht dadaistischen Texte des aus dem Kongo stammenden, in Graz lebenden Manns teils bedrückend wirken. Er lebt seine Texte. Man hat fast den Eindruck, an einer Predigt teilzunehmen. Brillant, but not everybodies cup of tea. Da wir am Sonntag früh rausmüssen, um Herrn Schreiber zu hören, verzichten wir auf die Klubnacht. Sie soll aber ganz toll gewesen sein. Nächstes Jahr tanzen wir mit. Versprochen!

Daniel Schreiber mit Film- und Literaturexpertin Elisabeth Bronfen Foto: Lea Christen

EIN SONNTAG MIT TIEFGANG

Kurz vor 11 Uhr, an einem wirklich wundervoll frühlingshaften Sonntagmorgen, haben wir das Vergnügen, Daniel Schreiber zu hören. Der mit «Allein» ein erfolgreiches, dem Zeitgeist mehr als passendes Essay veröffentlichte. Die Moderation übernimmt hier Elisabeth Bronfen. Sie ist sowohl Film- und Literaturkritikerin als auch Literaturprofessorin in Zürich und wie man sofort merkt, gut befreundet mit dem Autor. Die quirlige Dame hält uns gut bei Laune und bringt mit ihrem Esprit immer wieder die Zuschauer:innen zum Lachen. Köstlich, wie sie uns mitteilt, dass sie auch gerne alleine sei. «Ich bin einer der interessantesten Menschen die ich kenne. Da sind Selbstgespräche auch immer wieder schön.» Das Publikum feiert sie für dieses lustige Kommentar.

ALLEIN SEIN ODER NICHT?

Schreiber aber, für den an diesem Sonntagmorgen mehr als 100 Gäste kamen, verzaubert das Publikum durch seine entspannte Stimmung. Er lässt uns an der Entstehung seines Buchs teilhaben und an seiner Liebe für Luzern. Teile des Buchs sind hier entstanden und so drängt es sich förmlich auf, dass der erste Leseteil davon handelt. Wie konzentriert und ruhig die Damen und Herren plötzlich wurden, phänomenal. Die Sympathie hat er somit ganz klar auf seiner Seite. Da kann man den Zuhörer:innen förmlich ansehen, wie gut sie die Wanderungen und Seefahrten kennen. Herzig. Darüber hinaus gelingt dem ansonsten in Berlin lebenden Autoren vor allem der Spagat zwischen Lesung und Selbsterkenntnis. Vielmehr ist es ihm wichtig, dass die Leute nicht ihn und sein Leben im Buch erkennen sollen, sondern sich selbst. Aus dem Alleinsein immer das Beste machen und auch hinterfragen, ob eine Zweisamkeit wirklich das Nonplusultra ist. Schliesslich suggeriert uns die Gesellschaft dies so oft, aber ist dem auch wirklich so? Wir stellen uns diese Frage am Ende seiner Lesung selbst und sehen auch nachdenklich-lächelnde Gäste im und am Pool.

Simone Lappert Foto: Kim Damotta

LYRIK ZUM ENDE DES FESTIVALS

Um auch allen Genres gerecht zu werden, darf natürlich die Lyrik nicht zu kurz kommen. Am Ende des Festivals hören wir die Schweizerinnen Leonor Gnos, Katharina Lanfranconi und Simone Lappert. Drei Generationen von Schreiberinnen, die durch den Germanistikprofessoren Lucas Gisi vorgestellt werden. Den Anfang macht Leonor Gnos, die aus ihrem «Zyklus April» vorträgt. Ihre Gedichte wirken schwermütig, wenn doch wieder vom Beckenrand aus leider nicht immer alles gut zu verstehen ist. Weiter geht es mit der Luzernerin Katharina Lanfranconi, die mit reduzierten, kurzen Gedichten auffährt. Sie setzt teils gelungene, teils ungelegene Pausen und wiederholt auch gerne eins ihrer Gedichte. Freude hat sie dabei und das überwiegend weibliche Publikum ebenfalls. Spannend fanden wir, wie sie uns erklärt, wie ihre Gedichte eingekocht und dann weiterverarbeitet werden. Ein längerer Prozess, bei dem nicht alles verwendet wird, was verarbeitet wurde.

Teil drei der Lyriklesung gehört Simone Lappert. Die neben ihrer erfolgreichen Romane ihren ersten Lyrikband «längst fällige Verwilderung» gerade kürzlich veröffentlicht hat. Im Interview mit ihr erfahrt ihr in Bälde die Hintergründe zum Werk und noch mehr zur Autorin. Wir sind gespannt, stellen sofort fest, diese Frau liebt, was sie tut. Da werden perfekte Übergänge und Pausen gemacht. Kein Gedicht wird vorgelesen, sondern in bester Poetry-Slam Manier vorgetragen. Wow. Sie schafft eine Stille im Neubad und lässt Bilder in den Köpfen der Zuhörer:innen entstehen. Eine leichte Gänsehaut macht sich breit. Gerne hätten wir ihr dies noch persönlich gesagt, schaffen es aber leider zeitlich nicht mehr. Dennoch schliessen wir uns der Poetin an und bedanken uns an diesem wundervollen Ort, bei diesem schönen Festival dabei gewesen zu sein. Wir sind schon auf die Ausgabe 2023 gespannt.

Ein zufriedener Pascal Zeder am Ende des Festivals. Foto: Kim Damotta
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