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Sohails Reise ins zerstörte Land5 min read

26. März 2022 3 min read

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Sohails Reise ins zerstörte Land5 min read

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Während im Osten dieses Kontinents seit einigen Wochen ein Krieg tobt, herrscht in Afghanistan seit mehr als zwanzig Jahren der Ausnahmezustand. Inmitten dieser humanitären Krise befindet sich ein junger Mann aus Afghanistan, der die Situation ändern will: Sohail Khan.

Sohail Khan flüchtete vor acht Jahren aus seinem Heimatland Afghanistan nach Europa. So landete er vor sechs Jahren in der Schweiz. Wie so viele, nur mit leichtem Gepäck. Seither hat sich in seinem Leben einiges getan. Nach den Strapazen der langen Reise folgten schwierige Jahre in den Asylunterkünften, ohne feste Strukturen. Doch Sohail konnte in Luzern Fuss fassen, lernte die Sprache, Mentalitäten und Menschen kennen, geht inzwischen einer Arbeit nach, steht mitten im Leben. Und Sohail hat eine Aufgabe gefunden: Mit der Gründung des Vereines Education for Integration hat sich Sohail Khan das Ziel gesetzt, die Integration von geflüchteten Menschen in der Schweiz zu erleichtern.

Die Gründung erfolgte zu einem Zeitpunkt, als Sohail selbst noch im Integrationsprozess steckte. Das Projekt ist inzwischen gewachsen und ist wahrscheinlich grösser als Sohail es sich je erträumen konnte. Inzwischen engagieren sich über 200 Freiwillige in sechs Kantonen bei Education for Integration. Und seit wenigen Monaten ist das Projekt auch in Afghanistan aktiv. Mit den Projekteinnahmen werden Kleider und Nahrungsmittel vor Ort eingekauft, welche kostenlos an die afghanische Bevölkerung verteilt werden. Hilfspakete werden keine verschickt, da dies zu teuer und ineffizient wäre. So fliessen die Einnahmen der Veranstaltungsreihe im Luzerner Neubad «Bong da City» und die Spenden direkt nach Afghanistan. Doch bis dahin war es ein langer Weg.

Education for Integration: Eine afghanisch-schweizerische Erfolgsgeschichte

Über Bekanntschaften anderer Geflüchteter konnte Sohail sich ein Netzwerk von vertrauenswürdigen Personen in Afghanistan aufbauen. Eine Kerngruppe von zehn Personen koordiniert die über 80 Freiwilligen in Afghanistan. Weil sämtliche Arbeit ehrenamtlich verrichtet wird, kann der Verein die Einnahmen sehr effizient einsetzen und bislang beachtliche Erfolge erzielen. Bisher konnten mit knapp 70’000 Franken 40’000 Familien geholfen werden. Doch die Warteliste für Hilfsleistungen ist lang. Zu lang. Über 200’000 afghanische Familien haben sich beim Projekt registriert, die Kapazitätsgrenzen sind erreicht. Einige Menschen sind in der Zwischenzeit verhungert, weil Hilfe und Unterstützung zu spät kamen.

Sohail erklärt, dass sich die Zustände in Afghanistan überhaupt nicht mit denjenigen in der Schweiz vergleichen lassen. Das Ausmass der humanitären Katastrophe, die maroden Infrastrukturen, die Korruption, der Hunger und die Angst vor erneuten terroristischen Anschlägen sind für uns nicht vorstellbar. Sogar kurze Arbeitsausfälle führen dazu, dass das spärlich angesparte Geld für die grundlegendsten Güter knapp wird. In der Schweiz, die ihre Augen verschliesst, fühlt sich Sohail machtlos. Er hat aus diesem Grund einen Entschluss gefasst: Sohail will in sein Heimatland zurückkehren, um dort direkt helfen zu können.

So treffe ich Sohail Khan eine Woche vor seiner Abreise nach Afghanistan zum Gespräch. Seit acht Jahren war er nicht mehr in seiner Heimat. Und trotz der Bedenken seines Umfeldes will sich Sohail selbst ein Bild vor Ort machen. Ein Bild davon, wie sich seine Heimat verändert hat. Ein Bild vom Ausmass der humanitären Krise. Ein Bild von den Taliban, wie sie denken, handeln, regieren. Und ein Bild davon, was sein Projekt Education for Integration bisher bewegen konnte.

Die Reise gen Osten

Sohail hat Fragen, welche auch viele in der Schweiz interessieren dürften. Wie ist das Leben unter dem neuen Taliban-Regime? Was denken die neuen Machthaber über die Schweiz? Wo sind die gigantischen Summen hin, welche in den letzten Jahrzehnten in das Land geflossen sind? Wie viel schmutziges Geld befindet sich dabei auf Schweizer Bankkonten? Und vor allem: Was lässt sich noch ändern, wie kann man helfen?

Und obwohl Sohail etwas nervös ist, die Reise ist schliesslich kein ungefährliches Unterfangen, freut er sich, in seine Heimat zurückkehren zu können. Es mutet zunächst widersprüchlich an, wenn Sohail von seiner Hoffnung erzählt, etwas Ruhe in Afghanistan finden zu können. Doch seine Hoffnung leuchtet ein: Zum ersten Mal seit Jahren muss sich Sohail nicht um ein langwieriges und bürokratisches Asylverfahren kümmern. Er muss sich nicht mit zwei Jobs über Wasser halten. Er muss keine neue Sprache lernen. Und obwohl Sohail auf etwas Ruhe hofft, möchte er vor allem Antworten auf seine brennenden Fragen bekommen. Die Vorfreude auf seine Heimkehr überwiegt somit die Anspannung. Auch, weil er zum ersten Mal seit acht Jahren seine Mutter wiedersehen darf.

Sohail steht kurz vor seiner zweiten grossen Reise. Sie führt ihn dieses Mal zurück in die Heimat. Es ist jedoch nicht dieselbe Heimat wie vor acht Jahren.  Afghanistan hat sich verändert. Es ist vom Krieg zerfurcht und es wird nun von Terroristen regiert. Der Ausgang von Sohails Reise ist also wieder einmal ungewiss. In einer Woche dürfen wir erneut mit ihm sprechen, ihn zu seinen Eindrücken und Erfahrungen befragen. Bis zum erneuten Gespräch mit Sohail und der Veröffentlichung des zweiten Teils dieses Artikels , wünschen wir ihm alles Gute, viel Kraft und Energie für die bevorstehenden Tage.

Benefizkonzert im Neubad Luzern

Um Spendengelder für die Projekte von Education for Integration einholen zu können, hat Sohail vor einer Woche ein Benefizkonzert im Neubad Luzern organisiert. Sämtliche Einnahmen fliessen in die Unterstützungsspenden nach Afghanistan. Mit am Start waren lokale Grössen wie Mimiks, LCone und Pablo Vögtli. Zudem stand die junge Rapperin Lou Kaena auf der Bühne, um ihre Tracks zum Besten zu geben. Im Folgenden ein paar Eindrücke von der Rapnacht.


Information

Wie man selbst bei Education for Integration aktiv werden kann, auf welches Konto Spenden getätigt werden dürfen und alle weiteren Informationen zum Projekt sind auf ihrer Website ersichtlich.