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«Pornografie sehe ich nicht als Teil meiner Arbeit»: Im Gespräch mit Jules Claude Gisler5 min read

29. März 2022 4 min read

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«Pornografie sehe ich nicht als Teil meiner Arbeit»: Im Gespräch mit Jules Claude Gisler5 min read

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Wie beeinflusst Geschichte die Kunst? Ist Pornografie provozierend? Was hat Film und Performance gemeinsam? Wir durften uns mit dem 28-jährigen Schweizer Künstler Jules Claude Gisler genau über diese Themen unterhalten. Jules bewegt sich zwischen Zürich und Luzern in der freien Kunstszene und arbeitet mit Film, Performance und Theater.

frachtwerk: Wie bist du mit dem Medium Film in Berührung gekommen?

Jules Claude Gisler: Ich hatte in meiner Kindheit keinen Fernseher zu Hause. Bei meinen Grosseltern durfte ich aber tagelang fernsehen, das war mega geil. Wir durften richtig «bingen» bei ihr. Wir waren süchtig nach dem Fernseher. Später dann, mit 16, begann ich, Filme fernab vom Mainstream zu schauen. Da habe ich gemerkt, es gibt auch diese andere Art von Film. Vor allem Coming-of-Age-Filme waren für mich stark prägend in meiner Jugend, ich verlor mich förmlich in ihnen.

frachtwerk: Gibt es einen spezifischen Coming of Age, der dir im Kopf geblieben ist?

Jules Claude Gisler: Ich hab früh Xavier Dolans Filme geschaut, welcher selbst auch sehr jung war, als er seinen ersten Film drehte. Auch Bruce LaBruce. Generell habe ich viel aus den 80ern und 90ern geguckt. LaBruce vermischte das Fiktionale mit Pornografie, ich fand das sehr spannend. Auch diese Frage nach Provokation.

frachtwerk: Wie ging es dann weiter in Sachen Film?

Jules Claude Gisler: Das Medium Film tauchte dann wieder auf, als ich mich für die Kunstgewerbeschule angemeldet hatte. Bei meiner abgegebenen Mappe habe ich schon viel mit Bewegtbild gearbeitet und gefilmte Performance eingereicht. Die Mischung Film und Performance bietet die Möglichkeit, körperlich und dennoch filmisch zu arbeiten. Deshalb war für mich dann auch schnell klar, dass ich auf Filmregie abschliessen werde an der Hochschule Luzern. Film vereint viele Interessen von mir in einem Medium.

frachtwerk: Man sieht oft viel Nacktheit und auch sehr intime, sexuelle Momente in den Arbeiten von dir. Denkst du, Pornografie ist Teil deiner Arbeit? Oder ist es mehr eine Provokation? Wie definiert sich das am besten?

Jules Claude Gisler: Pornografie selbst würde ich nicht als Teil meiner Arbeit sehen. Pornos müssen auch nicht zwingend provokativ sein. Aber je nach Rahmen und Kontext kann Pornografie natürlich sehr wohl provozieren. Aber es gibt mehr so Grundthemen, welche bei mir und meinem Umfeld immer wieder aufkommen. Themen über Identität, Geschlecht, Sex, Gender und Sexualität.

Je nach Medium werden diese Themen anders dargestellt und je nach Kontext und Person fühlen sich diese Themen ja auch anders und provozierender an. Meine Definition ist, dass ich in meinen Arbeiten meine Perspektive zeige und Fragen stelle. Der Rest muss den Personen überlassen werden, welche dann meine Arbeit konsumieren.

frachtwerk: Was bedeutet für dich Performance? Und was Film?

Jules Claude Gisler: Ich denke für mich ist es, wie schon angedeutet, gar nicht gross getrennt. Das Endprodukt ist einfach anders. Bei «Suitable Populace» zum Beispiel (2021 in der Kunstvitrine im Treibhaus Luzern ausgestellt), wird die filmische Arbeit durch die Überwachungskameras performativ, die Zuschauenden werden unweigerlich Teil der Arbeit, sobald sie es ansehen. Ein anderer Unterschied von Film und Performance ist sicherlich auch der Kontext und die Geschichte der Kunstformen. Filme kommen mehrheitlich aus einem Unterhaltungsaspekt, während Performance aus der Malerei und dem Zeichnen ausbrechen will. Da wird die Person selbst zum Kunstwerk. In meinen Augen ist die Arbeit nicht ablösbar mit den Kunstschaffenden.

frachtwerk: Allgemein nicht ablösbar von der Kunstschaffenden Person? Oder nur bei Performance?

Jules Claude Gisler: Ich finde allgemein, ja. Vor allem im 21. Jahrhundert finde ich es schon wichtig zu verstehen, warum eine Person diese Dinge macht, die sie macht. Deshalb ist für mich Performance vielleicht auch direkter und abstrakter als Film. Es ist ein Live-Moment. Entweder man war dort oder nicht. Eine Dokumentation über eine Performance ist nicht dasselbe. Film ist wiederum reproduzierbar.

frachtwerk: Was denkst du zur Thematik Geld und Kunst?

Jules Claude Gisler: Viele haben sich schon diese Gedanken dazu gemacht, ich kann einfach aus meiner Sicht reden. Geld bietet Macht und Möglichkeiten. Ich würde gerne sagen, dass Geld keine Rolle spielt, aber es stimmt einfach nicht. Vor allem in der Kunstbranche muss man sich schon früh mit dem Thema Geld auseinandersetzten. Manchmal passiert es auch, dass man nicht mehr die Kunst so macht wie man sie selbst machen würde, sondern sich auch anpasst an den Markt, wie gut sich verkaufen lässt, was man macht. Das finde ich zwar schade, aber beobachte das. So wird man Teil dieses Marktes. Andersherum finde ich es aber schön, Geld verdienen zu können, mit dem, was man liebt.

Aber je nach Medium ist es halt auch anders möglich zu verkaufen. Ein Gemälde ist anders «verkäuflich» als zum Beispiel eine Performance.

frachtwerk: Ich denke, es ist ja auch wegen dem Denken in dieser Gesellschaft. In diesem System scheint Materielles weniger Wert zu haben als zum Beispiel eine Skizze von Picasso. So auch etwa Performance als Kunstform.

Jules Claude Gisler: Zudem muss angefügt werden, dass Gemälde und allgemein die bildende Kunst auch schon viel älter ist. Es ist eine etablierte Kunstform mit einer riesigen Vergangenheit, wohingegen die Performance eine viel neuere Entwicklung ist. Es ist ein viel, viel jüngeres Medium. Die Geschichte beeinflusst eigentlich ein Medium massgeblich. Deshalb ist sie so wichtig. So versteht man, von wo was kommt und weshalb es so ist, wie es heute ist. So auch, dass die Vergangenheit stark männerbehaftet und eurozentristisch geprägt wurde.

frachtwerk: Zum Schluss: Was macht die Kunst mit dir? Und was macht gute Kunst für dich aus?

Jules Claude Gisler: Durch die Kunst werde ich als Kunstschaffender zu jemandem, der sein Umfeld ansieht, beobachtet, darüber nachdenkt und eine Antwort darauf zu geben versucht. Ich denke, das ist auch das, was ich von anderen Kunstschaffenden erwarte. Deshalb gefällt mir persönlich «l’art pour l’art» weniger. Ich möchte dieses Privileg nutzen, Dinge hinterfragen zu dürfen und herausarbeiten zu können. Auch vielleicht aus diesem tieferen inneren Wunsch, etwas bewegen zu können, auch wenns bisschen cheesy klingt (lacht). Aber das ist meine persönliche Sicht, aus der dann diese Dringlichkeit entsteht. Aber was ist schon gute Kunst? Dazu könnte man wieder einen neuen Studiengang eröffnen.

Danke an Jules Claude Gisler für das Interview. Go check him out!