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Inkludierung und Fluidität in der Kunst – MBAL mit der Ausstellung «Fluidités»4 min read

5. April 2022 4 min read

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Inkludierung und Fluidität in der Kunst – MBAL mit der Ausstellung «Fluidités»4 min read

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Das Musée des Beaux arts in Le Locle, kurz MBAL, im Kanton Neuchâtel nahe der Stadt La-Chaux-des-Fonds präsentiert mit der Ausstellung Fluidités eine zeitgenössische Ausstellung, die sich mit einigen der dringlichsten Themen unserer Zeit auseinandersetzt. Auf drei Etagen wird die Frage nach einer inkludierenden künstlerischen Arbeit behandelt, wobei die Repräsentation von BIPoC’s (Black, Indigenous, People of Color) aus der Sicht von Fotograf:innen mit vergleichbarem Erfahrungshintergrund dominiert.

Gleichzeitig mit Fluidités wurde einer Gruppe an Absolventen der École cantonale d’art de Lausanne (ECAL) ein Ausstellungsraum geboten, in dem sie ein Projekt in Zusammenarbeit mit Jean Paul Gaultier präsentieren konnten. In ihrem Fokus und damit ganz im Rahmen des Ausstellungstitel Fluidités steht das Verhältnis zwischen Identität und Geschlecht und die derweil sehr fliessenden Übergänge.

«ECAL – Yolane Rais, Julie Corday» (Bild: MBAL )

Alle im MBAL präsentierten Kunstschaffenden vereint das Medium der Fotografie.
Im ersten Saal ist zum Beispiel Erwan Frontin (Schweiz/Frankreich, 1978). Bereits seit über zwanzig Jahren engagiert sich der Künstler mittels seiner fotografischen Arbeit für die Repräsentation und Erhaltung der Diversität unserer Erde. Sein künstlerischer Schwerpunkt liegt auf Stillleben, die überraschende Komponenten miteinander verbinden. Wie etwa einem Turm, bestehend aus einem Aal, der sich um mehrere Zitronen windet. Oder ein Bouquet aus unterschiedlichen Kohlgemüsen, die so arrangiert sind, dass sie gemeinsam selbst ein Lebewesen zu bilden scheinen. Durch diese fotografische Arbeit schafft es Erwan Frontin, das Auge der Betrachtenden immer wieder aufs Neue zu überraschen und mit der Erwartungshaltung zu spielen. Es gelingt ihm, auf die fliessenden Grenzen zwischen seinen Sujets hinzuweisen und Verbindungen zu schaffen, die auf den ersten Blick nicht unbedingt auf der Hand liegen. Dabei kommt ihm sicherlich auch sein Studium der Biologie und der Kunstgeschichte zugute. Mit seinen Fotografien, die die Variationsbreite der Erde widerspiegeln, leistet er indirekt einen wichtigen Beitrag zum Schutz der Umwelt.

«Erwan Frotin, The Monkey, Numéro China, 2021» (Bild: MBAL )

 

Namsa Leuba (Schweiz/Guinea, 1982) beschäftigt sich in ihrem fotografischen Oeuvre intensiv mit fliessenden Übergängen zwischen Identitäten und Geschlechtern. Seit zehn Jahren nutzt sie die Fotografie, um den Exotismus zu hinterfragen. In ihren Werken begegnet sie Stereotypen sehr kritisch. 2019 beispielsweise fertigte sie eine Werkserie an, die auf Tahiti entstand, welche als direkte Reaktion auf die Gemälde von Paul Gaugin (1848 bis 1903), der das Bild des Exotischen massgeblich prägte, verstanden werden kann. Die Serie, die den Titel Illusions trägt, zeigt Modelle, die mit ihrer Bekleidung das stereotypische Schönheitsbild exakt bedienen. Doch bei den Dargestellten handelt es sich nicht um Frauen, sondern um Angehörige der LGBTQ+ Gemeinschaft. Mit dieser Hintergrundinformation erhalten ihre Werke eine Bedeutung, die deutlich vielschichtiger ist und die die Betrachtenden dazu einlädt, ein uniformiertes Schönheitsbild zu überdenken.

«Namsa Leuba, Sarah, Lagos (Nigeria), 2015 (The New Black Vanguard)» (Bild: MBAL )

Der Saal deckt einen breiten Komplex an verschiedenen Ansätzen mit dem Umgang von Identität und Geschlecht ab. Neben der anhin erwähnten beiden Kunstschaffenden, die beide einen eigenen Saal bespielen, wird in einem weiteren Saal mit dem Titel The New Black Vanguard ein breites Spektrum auf das Kunstschaffen von BIPoC’s geboten. Auf zwei Räume verteilt sind über dreissig Kunstschaffende repräsentiert, die gemeinsam die Diversität von BIPoC’s zelebrieren. Mit den unterschiedlichen Arbeiten, die zwischen Johannesburg, Benin, London, New York sowie vielen weiteren Orten auf der Welt entstanden, setzen die Kunstschaffenden ein deutliches Zeichen gegen die scheinbare Uniformität von BIPoC’s. Unter ihnen etwa Arielle Bob-Willis, die mit ihren Porträts versucht, dieses sonst sehr traditionelle Genre zu öffnen. Oder Daniel Obasi, der in seinen Fotografien Position bezieht für Homosexuelle in Nigeria, die dort noch immer vom Staat bestraft werden.

Trotz den unterschiedlichsten künstlerischen Ansätzen in dieser Ausstellung gilt für all diese Kunstschaffende: Sie empfinden eine bestimmte Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft und einen Willen, sich darin zu engagieren und mit ihrer Kunst eine Akzeptanz für die Welt mit ihrer Gesamten Vielfalt zu schaffen. Trotz der Krisen, der sich die Gesellschaft partout immer wieder erneut stellen muss. Kunstschaffende spielen beim Anbruch einer neuen Epoche seit je her eine tragende Rolle, denn Kunst stellt eine Messlatte für den sozialen und politischen Wandel dar. Die in der Ausstellung Fluidités gezeigten Werke sind eine Aufforderung, sich aktiv mit Fragen zu Identität, Rasse und Geschlecht zu befassen sowie ein Plädoyer für Offenheit und eine Einladung, Stereotypen endlich hinter uns zu lassen.

Die Ausstellung ist noch bis am 24.04.2022 im MBAL in Le Locle zu sehen. mbal.ch

Text: Anna Diener

Bilder: Copyright MBAL – Musée des beaux-arts