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Montreux – die Schöne am See7 min read

25. Juli 2022 6 min read

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Montreux – die Schöne am See7 min read

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Am letzten Abend des 56. Jazzfestivals am Genfersee erleben wir das vollste musikalische Vergnügen.

Es ist der 16. Juli, der finale Festivaltag in Montreux. Die Temperaturen steigen auch am Lac Lemon auf 34 Grad. Genau richtig, den Vor- und Nachmittag in und am See zu verbringen, bevor es wieder Richtung Festival geht. Dort besichtigen wir erstmal die legendäre «Freddie Mercury Statue». Sie ist an einem kleinen, schönen Schwimmplateau gelegen. Der Sänger hält die Faust um den ikonischen Mikrofonständer mitsamt Wembley Stadium Outfit und es werden zig Fotografien gemacht.

Freddie Mercury Denkmal (Foto: Thomas Bitterli)

Ein heisser Nachmittag vor einer heissen Nacht

Auch wir knipsen den Queen-Frontmann und schwelgen über sein Statement nach: «Komm nach Montreux, wenn du deinen Seelenfrieden suchst». Mit dem Blick über den See und die Bergkulisse gut zu verstehen. Er lebte dort eine Weile und nahm sowohl Solo- als auch Queensongs auf. Leicht nostalgisch starten wir den Rundlauf vorbei an allerlei kilbiartigen Buden, bis wir langsam wieder am offiziellen Teil des Festivals angelangt sind. Auch hier kann man sich entlang der Seepromenade kulinarisch aus aller Welt bereichern. So verbringen wir unser Znacht neben einem amerikanischen Touristen, der sich das Fondue-For-One bestellt hat. «Great stuff!» «Sure Mate, sure.» Kann ja auch bei 32 Grad im Schatten schmecken, oder? À chacun son goût, denken wir nur. Im Lake House machen wir noch einen kleinen Abstecher, bevor die Hauptacts beginnen. Hier gibt es neben einer kleinen Bühne, die echte Jazzclubatmosphäre bietet, auch ein hauseigenes Kino plus Bücherei. Die Filme setzen unüberraschenderweise komplett den Fokus auf Musik. Dort kann man sich alte Liveaufnahmen des Festivals, aber auch aktuellere Dokumentationen von mittags bis nachts anschauen. Im oberen Bereich des Lake House gibt es auch die «Loggia», die für Podcast- und Radioaufnahmen verwendet wird.

Arlo Parks performing on stage of the Lab during the 56th Montreux Jazz Festival, 16th of July 2022, (c) Marc Ducrest

Dieses Festival schafft Legenden

Entspannt und überpünktlich erreichen wir das Haupthaus und ich habe noch genug Zeit, mir einen Eindruck von Arlo Parks zu machen. Sie spielt im Jazz Lab und wird schon von Hunderten Fans, die Schlange stehen, erwartet.
Die Indie-Pop Sängerin hatte vergangenes Jahr bei den Brit Awards 2021 als «Best New Artist» abgeräumt und ist fortan heissbegehrter Live-Act auf dem ganzen Kontinent und darüber hinaus. Entspannte Songs, gute Stimmung, die mich fast vergessen lassen gleich doch wieder oben im Gebäude sein zu wollen. Mit einer positiven Impression gehe ich in den bereits gut gefüllten Hauptsaal. Es gab wohl noch «um die Ecke» Tickets, die lediglich 20 Prozent teurer als im Vorverkauf waren. Aha! Punkt 20:30 Uhr wird der Grossmeister Herbie Hancock anmoderiert. Zum 30. Mal tritt er dort auf. Ein Jubiläum, welches lautstark applaudiert wird, er es aber selber ganz bescheiden abtut. Schliesslich geht es ja um den Moment und dass wir nun alle beisammen sind.

Anmoderation der letzten zwei Mainacts
Herbie Hancock on stage of the Stravinski at the 56th Montreux Jazz Festival, 16th of July 2022, (c) Emilien Itim

Hancock freut sich auch beim 56. Jazzfestival in Montreux wieder am Start zu sein. Mittlerweile geniesst er den Status eines Sonderbotschafters in Anbetracht seiner Auftrittshöhe auch total nachvollziehbar. Im schwarzen, langärmigen kleidähnlichem Hemd steht er da und wird umjubelt. Auf französich begrüsst er die Gäste und warnt dann aber in seiner Muttersprache vor «it is getting weird in the beginning». Die Ansage trifft auch relativ gut zu. Stücke, bei denen Anfang und Ende schwer erkenntlich sind folgen. Wir fragen uns, ob es nun improvisiert oder doch eingespielt ist. Dennoch sind aber auch tanzbare Töne dabei und erhellen das Auditorium.

Herbie Hancock mit seiner 30. Perfermonace in Montreux

Herbie Hancock on stage of the Stravinski at the 56th Montreux Jazz Festival, 16th of July 2022, (c) Emilien Itim

Nach einer guten halben Stunde wage ich einen Abstecher nach unten zur Jazz-Lab-Bühne. Dort sitzt gerade Patrick Watson bei seinem ersten Song. Entspannt sitzt der Kanadier am Flügel und singt auf Französisch. Der Mittvierziger studierte in Montreal klassisches Piano, was er den Montreuxern auch nach kurzer Zeit unter Beweis stellt. Etwas verhalten reagiert das Publikum, welches auch nach dem Wechsel zwischen Bar und Toilette wohl noch nicht ganz dabei ist. Zwei Songs erlebe ich und husche wieder zu Herbie und seinen Musikern.

Patrick Watson performing on stage of the Lab during the 56th Montreux Jazz Festival, 16th of July 2022, (c) Marc Ducrest

Der Pianist, der unter anderem bereits mit Miles Davis, Quincy Jones und Carlos Santana zusammenarbeitete, hat grosses Vergnügen am Sound mit seiner Band. Gut gelaunt werden die Künstler vorgestellt: am Schlagzeug – Justin Tyson, Trompete – Terence Blanchard, Bass – James Genus und an der Gitarre / Gesang – Lionel Loueke. Letzterer wird von Hancock als Alien vorgestellt. So gross der Lob an den Ausnahmegitarristen, der anscheinend nicht von dieser Welt sei. Es wird gejubelt und gelacht. Der Showdown! Einen hat er noch. Natürlich erfolgt der Hit «Rockit» in einer ausgedehnten Elekto-Jazz Variante. Die Crowd tanzt und feiert mit.

Herbie Hancock mit Gittarist Lionel Loueke, (c) Marc Ducrest

Wir nutzen die Umbaupause, um an der SuperBock-Stage den Niederländern Son Mieux zu lauschen. Die siebenköpfige Kappelle um Sänger Camiel Meiresonne heizt auf der Gratisbühne, benannt nach dem portugiesischen Biersponsor, ordentlich ein. Ein gelungner Popsound ertönt von der Band im Glitzeroutfit.

Son Mieux on stage of the Super Bock at the 56th Montreux Jazz Festival, 16th of July 2022, (c) Emilien Itim

Jamie Cullum schliesst furios das Festival ab

Hier hätten wir gerne noch etwas verweilt und mitgetanzt, aber nun kommt der Mainact des Festivals. Also Treppe hoch und Vorhang auf für Jamie Cullum. Auch der Engländer gastierte schon einige Male am Genfersee. Gleich wird losgebrettert ohne grosses Tamtam. Nach zwei Songs sagt er dann wie stolz und gerührt er sei, mit uns das Festival abzuschliessen. Auch er erzählt noch kurz von diversen Treffen mit dem Festivalgründer Jeff Nobs und wir er sich als 23-Jähriger in den Hose gemacht hat, als er seinen ersten Gig 2003 hatte.

Der Engländer bringt die Menge zum Toben
Der Engländer bringt die Menge zum Toben. Credits: Lionel Flusin

Cullum bringt noch richtig Schwung in den Laden. Ungewöhnlich für einen Jazzpianisten wird getanzt, vom Flügel gesprungen und weitere Feuerwerke gezündet. Nach zwei Jahren ohne Montreux und als Hauptact ist er förmlich euphorisiert und bringt nach einer halben Stunde mit «When I get famous» den Saal zum Toben. Er lebt den Song und gönnt sich ungewöhnlich für einen Jazzer, einen Spaziergang durchs Publikum.

Der Pianist, der auch gerne vom Flügel springt
Der Pianist, der auch gerne vom Flügel springt Credits: Thea Moser

Facettenreich wird aber dennoch abgewechselt. Da entstehen Solis am Flügel oder auch a-cappella Songs mitsamt der ganzen Band und Backgroundsänger:innen. Einer der Backgroundsänger war uns aber etwas zu viel des Guten. Da wurde doch hier und da etwas arg überschwänglich mitgesungen und getanzt. Dies tut aber dem Ganzen überhaupt keinen Abbruch. Der Engländer, der immer wieder mit seiner Körpergrösse kokettiert, geniesst den Abend und wir auch mit ihm. Er huldigt dem guten Sound im Gebäude, wie wir auch. Perfekt klingt die Stimme und Instrumente. Ein Highlight für jeden Tontechniker, aber auch für jeden, der guten Sound zu schätzen weiss. Die zwei Stunden verfliegen rasch und am Schluss kommt es zu einem Gänsehautmoment. Die Band verlässt die Bühne und alle im Raum summen die letzte Melodie noch mit. Wunderschön und ganz klar gibt es eine Zugabe. Sehr beseelt verlassen wir und die anderen 4500 Zuschauer:innen den Raum. Auf der Heimfahrt erfahren wir witzigerweise, dass Cullum wirklich nicht so gross ist, so berichtete eine Lausannerin, die ihm Platz machen musste als er durch die Menge ging. Montreux – du Schöne am See. 2023 sehen wir uns wieder.

 

 

 

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