Film Kultur Magazin

«Ich bin nicht mit der Erwartung an den Film herangegangen, dass er an Festivals laufen würde» – Philipp Veiga Amaro im Interview

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23. November 2022 7 min read

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«Ich bin nicht mit der Erwartung an den Film herangegangen, dass er an Festivals laufen würde» – Philipp Veiga Amaro im Interview

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Der 26 jährige Philipp Veiga Amaro hat diesen Sommer das Studium «BA Video» an der HSLU abgeschlossen. Mit seinem Abschlussfilm «O Falecido» hat er den Preis für den besten Schweizer Schulfilm bei der diesjährigen Ausgabe der Internationalen Kurzfilmtage Winterthur gewonnen. Wir haben ihn auf ein Gespräch eingeladen.

Gastautor: Noah Brun

«O Falecido» (dt.: «Der Verstorbene») wird Philipps Vater innerhalb der Familie genannt, obwohl er noch lebt. Er hatte die Familie verlassen, als Philipp 16 Jahre alt war, und Philipp selbst erinnert sich nur noch spärlich an ihn. Um mehr über seinen Vater und seine eigene Vergangenheit herauszufinden, wendet er sich in seinem Bachelorfilm an seine Mutter und seine Grossmutter.

frachtwerk: Wie gestaltet sich bei dir der Ideenfindungsprozess? Und wie bist du auf die Idee für deinen Abschlussfilm gekommen?

Philipp Veiga Amaro: Die erste, ursprüngliche Idee war eigentlich zum Thema «Berührung». Ich wusste, dass ich irgendwas mit dieser Thematik anstellen wollte, weil mich die Sinnlichkeit dahinter fasziniert und anzieht. Der Begriff der Sinnlichkeit hat mich weiter in die Thematik der «Erinnerungen» geführt. Das Ganze hat sich plötzlich wie ein Puzzle zusammengesetzt. Es war ein langer Prozess und ich hatte nicht von Anfang an die Intention, einen Film über meinen Vater oder unsere Beziehung zu machen. Ich habe das Gefühl, man sollte nach Themen suchen, die schon in einem drin schlummern, sich aber vielleicht noch nicht bemerkbar gemacht haben. Man muss in sich selbst hinein hören und ein Thema wählen, bei dem man eine Dringlichkeit verspürt und nicht ein Thema, dass für Filmfestivals wichtig sein könnte. 

Generell würde ich sagen, mir hat es geholfen mit Menschen zu reden die mir Nahe stehen. Da kann ich Themen ansprechen, die mir tatsächlich auch wichtig sind und mich beschäftigen. Sobald ich etwas sage und es nicht mehr nur in meinen Gedanken ist, wird es zur Wirklichkeit und ist auch etwas, das kommuniziert und diskutiert werden muss. Es dient mir zu erkennen, was ein wichtiges Thema für mich sein könnte.

f: Weil du es vorhin kurz erwähnt hast: Hast du das Gefühl, dass dein jetziger Film spezifisch Festival tauglich ist oder hat sich das mehr zufällig ergeben?

P: Ich würde sagen, ich bin nicht mit der Erwartung an den Film herangegangen, dass er an Festivals laufen würde. Ich denke Menschen gehen an Fimfestivals, weil sie Filme schauen wollen, die sie motivieren und unterhalten, und mein Film ist alles andere als das. Mein Film ist schwer, mein Film ist traumatisch zum Teil und einfach auch «triggernd». Es ist ein Film, der fordert, weil ich das Gefühl habe, dass die thematisierten familiären Muster, sich in unserer Gesellschaft immer wieder wiederholen. Durch das habe ich das Gefühl, dass Menschen auf persönlicher Art und Weise zu meinem Film «connecten» können. Vielleicht dient es auch zur Motvation, ihre Traumas anzugehen oder aufzubereiten. Und obwohl der Film sehr persönlich ist, so hat er doch auch einen universellen Aspekt. Es geht im Film auch darum, patriarchale Systeme zu hinterfragen und Traumas aufzuarbeiten. Als ich das feststellte, wurde mir klar, dass der Film auch eine gewisse Relevanz für andere Menschen haben kann, was sehr schön ist, da mir das ein wichtiges Anliegen ist.

 

«Ich musste mir das Vertrauen nicht erkaufen oder erkämpfen, es war einfach schon da»

 

f: Wie war es, mit Menschen zu arbeiten, denen man sehr Nahe steht?

P: Ich hatte Schwierigkeiten damit. Aus dem Grund, dass diese Menschen dir sehr wichtig sind und man sie nicht verletzen möchte. Ich habe das Gefühl, dass man Menschen, die man nicht kennt, viel eher oder viel einfacher schwierige Fragen stellen kann, weil man diese Distanz zu den Leuten hat. Ich habe viel riskiert, aber diese Notwendigkeit, diese Dringlichkeit hat mich dazu gebracht, diese Fragen zu stellen. Es war eine Art Schachspiel, da ich sehr methodisch vorgehen musste. Welche Fragen darf ich stellen und welche nicht, damit die Leute nicht den «Vorhang» zumachen? Ein Vorteil bei der Zusammenarbeit mit Familienmitgliedern war jedoch, dass das Vertrauen schon gegeben war. Ich musste mir das Vertrauen nicht erkaufen öder erkämpfen, es war einfach schon da. Gleichzeit kann man aber Vertrauen auch sehr einfach missbrauchen, weshalb ich sehr aufpassen musste, welche Fragen ich in welchem Kontext stelle.

f: War es für dich und deine Protagonistinnen eine grosse Veränderung, die Kamera bei den Gesprächen präsent zu haben? Und wie hast du ihnen geholfen, sich vor der Kamera wohl zu fühlen?

P: Wir haben Probedrehs mit meiner Mutter gemacht, damit sie sich an die Kameras gewöhnen kann. Sie hatte grossen Druck, sich vor der Kamera präsentieren zu müssen. Ich habe ihr gesagt «Hey, du musst nichts dergleichen machen, ich will einfach mit dir reden als wären wir an einem normalen Tag im Gespräch, Mutter und Sohn.»  Bei meiner Grossmutter war es ein wenig anders. Ich habe in meinen Ferien vor dem Dreh schon Aufnahmen von ihr gemacht, also hat sie schon gewusst, dass eine Kamera präsent sein wird. Sie wusste auch, dass eine Kamerafrau mich begleiten wird. Zuerst hat sie die Kamera als Störfaktor wahrgenommen, aber sobald sie gemerkt hat, dass die Kamera in ihren Alltag eigentlich nicht interveniert oder sie zum Beispiel beim Kochen stört, hat sie sie völlig ignoriert. Als wäre sie gar nicht da. Dass fand ich sehr krass, weil ich das nicht erwartet habe. Aber ich hatte das Gefühl, weil sie vielleicht den Film nicht so ernst nahm, oder das Projekt nicht ernst nahm, war es für sie vielleicht auch einfacher, das zu ignorieren.

« Ich glaube aber vor allem, dass der Beruf der Filmschaffenden nicht sehr ernstgenommen wird»

f: Meinst du, da liegt ein Generationen-Unterschied vor? Also hast du das Gefühl, dass jungen Menschen Kameras viel bewusster sind, weil sie im Alltag viel präsenter sind?

P: Ich glaube schon, dass das eine Rolle spielen kann. Ich glaube aber vor allem, dass der Beruf der Filmschaffenden nicht sehr ernstgenommen wird. Es gibt dann immer diesen AHA-Moment, wenn der Film dann in einem Kino läuft. Das ist dann für sie etwas völlig anderes, weil sie merken, dass da eine ganze Industrie dahintersteckt. Das mit der Kamera hat sich meine Grossmutter so überlegt «Ja, das macht der so als sein Hobby» . Obwohl ich ihr gesagt hatte, dass das mein Abschlussfilm wird.

f: Du und deine Kamerafrau Sara Furrer wart ja allein bei der Umsetzung. Wie hat sich das auf den Dreh ausgewirkt?

P: Ich habe Sound und Regie gemacht, wobei Sara meiner Meinung nach auch Co-Regie gemacht hat, weil ich ihr sehr offene Regieanweisungen gegeben habe. Ich habe ihr gewisse Elemente gesagt, auf denen der Fokus liegen sollte. Ich wollte Details von den Händen, Details vom Nacken und von glänzende Oberflächen. Generell wollte ich viele Nahaufnahmen, ansonsten war sie aber ganz frei. Anders hätten wir das gar nicht umsetzen können, da ich mich auf die Gespräche konzentrieren musste.

f:Was war die Reaktion deiner Grossmutter auf deine Nominierung in Winterthur?

P: Das hat sie noch gar nicht mitbekommen. Sie hat zwar mitbekommen, dass der Film bei der internen Premiere der HSLU lief.Ich habe ihr gesagt, dass es mir ihre Anwesenheit sehr wichtig ist, leider konnte sie aber nicht kommen. Wenn der Film aber in Portugal laufen würde, würde ich ihn ihr gerne zeigen.

f: Wie geht es weiter für dich? Was sind deine Pläne?

P: Momentan bin ich mit verschiedenen Festivals beschäftigt, aber gleichzeitig arbeite ich noch an einem Drehbuch für einen Langfilm. Ich will gerne mit portugiesischen Filmproduzent*innen zusammenarbeiten. Wir sind gerade daran, das aufzugleisen. Ich habe auch noch vor, mich für einen Master zu bewerben. Entweder in Berlin, München oder Lissabon. Das ist auch nochmals eine Riesenarbeit und bis dorthin bin ich ziemlich beschäftigt.

f: Wird das Langzeitprojekt ein Dokumentarfilm oder ein Spielfilm?

P: Es wird dokumentarisch. Aus dem Grund, weil beim Thema «transgenerationelles Trauma» in meinem Fall nur die Oberfläche angekratzt wurde. Ich habe das Gefühl, dass das so tief in mir verwurzelt ist, dass ich nur einen kleinen Aspekt zeigen konnte. Ich möchte mich mit meiner Familie in Portugal in Verbindung setzen, weil das dort auch ein grosses Tabu-Thema ist. Vor allem mütterlicherseits gibt es extrem grosse ungeklärte Themen, die ich gerne mit meiner Familie angehen möchte.

 

«Zuerst muss ich an meine eigene physische und psychische Gesundheit denken»

 

f: Wie hat sich dein Erfolg in Winterthur auf dich ausgewirkt? Inwiefern pusht dich das?

P: Ich hatte ehrlich gesagt überlegt, nach dem Bachelor mit dem Filmschaffen aufzuhören. Und das nur aus dem Grund, dass mich der Film halt einfach ausgebrannt hat. Es war wirklich ein übler Prozess, wir waren limitiert durch den Zeitrahmen der Schule und es war wirklich extrem anstrengend, weshalb ich mich vorerst auch von Luzern und Film im Allgemeinen distanziert habe und momentan in der Gastronomie arbeite. Das macht mich sehr glücklich, aber jetzt hat mich der Film schon wieder eingeholt, weil Leute mir sagen, ich hätte grosses Potenzial als Filmemacher. Daran will ich selbst auch glauben, aber zuerst muss ich an meine eigene physische und psychische Gesundheit denken. Jetzt, nach dem Sommer, nach einigen positiven Rückmeldungen und dem Preis den ich hier in Winterthur erhalten habe, habe ich wieder grosse Motivation und die Bestätigung, weiterzumachen. 

f: Was kann einem helfen, wenn man als junge, kreative Person gerade versucht, im Filmbereich tätig zu sein? Woran muss man denken?

P: Meine Devise ist: Nichts wird dir geschenkt. Es ist alles abhängig von deiner Eigeninitiative. Du musst dein eigener Motor sein, sonst bist du im kreativen Feld einfach wirklich verloren. Du musst selbst eine Position einnehmen, selbst Projekte verwirklichen und Festivals wie Winterthur sind wie «Fuel for the Motor» und helfen, dranzubleiben, aber alles ist abhängig von der Eigeninitiative. Wir sind in der Schweiz sehr privilegiert was Stiftungen und Fördergelder angeht. In Portugal zum Beispiel wird dir nichts so schnell Geldern gegeben, also sollte man dies auch nutzen! «Do your Job», wenn du etwas machen willst, dann mach es, denn sonst ist es einfach eine Chance, die man nicht ergreift. Und ausserdem: Auch wenn dein Film nicht an einem Festival läuft, mach weiter! Es braucht einfach alles seine Zeit. «If you’re not gonna make it in your 20s, you’re gonna make it in your 30s»

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