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Der Tod als bewusste Entscheidung – ein Fakten- und Erfahrungsbericht4 min read

18. Januar 2023 3 min read

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Der Tod als bewusste Entscheidung – ein Fakten- und Erfahrungsbericht4 min read

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Die Geburt eines Menschen geschieht für ihn zufällig; frei vom Willen des geborenen Babys und unabhängig seiner Wünsche und Vorstellungen. Man wird, so Heidegger, in die Welt geworfen. Am anderen Ende wartet unausweichlich der Tod. Auch dieser wird für gewöhnlich als naturgegeben und nicht beeinflussbar hingenommen. Immer mehr Menschen möchten jedoch selbstbestimmt und würdevoll aus dem Leben treten – so auch meine Grossmutter.

Text von Remo Bucher

Wie geht selbstbestimmtes Sterben?

Bei der Sterbehilfe sind vier Grundformen zu unterscheiden. Unter der passiven Sterbehilfe wird der Verzicht auf lebensverlängernde Massnahmen verstanden. Die indirekte Sterbehilfe nimmt hingegen bewusst den Todeseintritt durch lebensverkürzende Nebenwirkungen in Kauf. Als Beihilfe zum Suizid gilt die Hilfeleistung zur Selbsttötung in Form der Bereitstellung des letalen Mittels. Die aktive Sterbehilfe führt hingegen willentlich und (durch eine:n Ärzt:in ausgeführt) fremdgeleitet den Tod herbei.

Rechtliche Einordnung

Die wenigsten Länder erlauben die beiden letztgenannten Formen der Sterbehilfe (eine anschauliche Übersicht gibt es hier). In der Schweiz bieten die beiden Organisationen EXIT und DIGNITAS für ihre Mitglieder Freitodbegleitungen in Form des assistierten Suizides an. Weil diese ihre Dienstleistungen nicht aus «selbstsüchtigen Motiven» vornehmen, fallen sie nicht unter den Art. 115 des Schweizerischen Strafgesetzbuches und bleiben straflos. In den letzten Jahren wurden die Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme der Sterbehilfeorganisationen immer mehr verrechtlicht. So gilt aktuell meist, dass eine unheilbare Krankheit sowie eine klar feststellbare Urteilsfähigkeit vorliegen muss. Schwierig gestaltet sich die Sterbehilfe bei psychischen Erkrankungen, die (gemäss dem Bundesgericht) nur in bestimmten Fällen als Grund für legale Sterbehilfe angesehen werden.

Eigene Wahrnehmung

Meine Grossmutter entschied sich im vergangenen Jahr mit EXIT aus dem Leben zu gehen. Sie war seit Jahrzehnten bereits Mitglied und hat sich zeitlebens damit auseinandergesetzt. Für sie war es selbstverständlich über die (eigene) Vergänglichkeit zu reden und mit uns Angehörigen zu diskutieren.  So habe auch ich schon früh bemerkt, wie wichtig der offene Diskurs über die Selbstbestimmtheit des Sterbens ist. Es macht den ‚Mythos‘ Tod etwas greif- und fassbarer, wenn er als nicht vollständig vom Zufall abhängig gedacht wird. Dem Menschen bleibt eine Restautonomie im Hinblick auf die Frage, wie lebens- und geniessenswert man seine letzten Jahre und Monate noch verbringen möchte. Aus meiner Sicht stellt dies ein der Menschenwürde inhärentes Recht dar. Auch das Recht auf Leben beinhaltet implizit ein Recht, ein für sich persönlich nicht mehr würdevolles Leben beenden zu können. Wichtig zu betonen bleibt immer, dass diese existenzielle Frage stets jede:r für sich alleine zu entscheiden hat. Ziel sollte daher sein, über die legalen Möglichkeiten zu verfügen und sie so wenig wie notwendig zu beanspruchen.

Eine getroffene Entscheidung

Als sich meine Grossmutter endgültig entschieden hatte, war mir die tatsächliche Konsequenz nicht sofort bewusst. Sie lebte ja schliesslich noch. Wir sprachen über Alltägliches, Weltgeschehen, aber auch Belanglosigkeiten. Es fühlte sich an wie immer in den vergangenen 27 Jahren. Ich musste mir jeweils die Letztmaligkeit dieser Augenblicke bewusst vor Augen führen. Auch beim gemeinsamen ‚Abschiedsessen‘ war die Stimmung nicht von Trauer und Bedauern durchzogen. Mir wurde erneut klar, dass meine Grossmutter nach wie vor glücklich und zufrieden mit ihrer Entscheidung war. Seit dem konkreten Entschluss drei Wochen zuvor hatte sie täglich dessen Richtigkeit bekräftigt. Ich merkte: Nach all den gesundheitlichen Problemen, physischen und psychischen, war sie bereit, die letzte Seite ihrer Geschichte hier im Diesseits umzublättern.

Bleibende Fragen

Natürlich kamen mir derweilen Gedanken zu etwaigen Alternativen. Hätte sie nicht noch in ein Pflegeheim ziehen können? Wären die Beschwerden mit der Zeit wieder weniger geworden? Doch das Wissen um den klaren Willen und die nachvollziehbaren Beweggründe meiner Grossmutter halfen mir während den Wochen danach enorm. Ich fand grossen Trost bei der Vorstellung, dass genau diese Art und Weise des Sterbens ihrem expliziten Wunsch entsprach. Die Legalisierung der (indirekten) Sterbehilfe verhilft den Menschen zu einem aufgeklärteren und reflektierten Umgang mit dem eigenen Tod. Meine eigene persönliche Erfahrung hat mich in dieser Überzeugung noch mehr bestärkt. Ich bin im Nachhinein froh und dankbar, war es meiner Grossmutter möglich, diesen Weg zu gehen.

Bild: Remo Bucher
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