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“Wir gehen in die Nähe, wir gehen zum Lokalen, wir sind da!” – Tobias Preisig im Interview zu seinem neuen Album “Closer”7 min read

22. Februar 2023 5 min read

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“Wir gehen in die Nähe, wir gehen zum Lokalen, wir sind da!” – Tobias Preisig im Interview zu seinem neuen Album “Closer”7 min read

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Tobias Preisig releaste den Zweiten Teil seiner Trilogie, nach Diver, folgte Closer und man ist bereits gespannt auf den dritten Teil, bei dem sich dann alles um das Konzept der Luft drehen könnte; “Luft tönt selbst nicht, nur wenn es etwas zum Schwingen bringt” Ich habe Tobias Preisig getroffen, wir redeten über sein Album, sein musikalisches Schaffen über Improvisation und Field Recordings.

frachtwerk: Das zweite Album deiner Trilogie ist viel emotionaler und es geht viel um Intimität und Emotionalität?

 

Tobias Preisig: Ich finde den Begriff der Emotionalität etwas gefährlich, weil das erste Album (Diver) in seiner Weise genau so emotional sein kann. Closer ist einfach wärmer, lieblicher, oder näher.

 

frachtwerk: Und wie setzt du so ein Konzept oder so eine Stimmung dann um? Beginnst du zu komponieren und dann bewegt es sich in die emotionale Richtung oder nimmst du dir die Richtung bereits vor der Komposition vor?

 

Tobias Preisig: Zuerst ist es ein Prozess des komponieren und ausprobieren, dann schaue ich was passiert. Dann fiel mir auf, dass ich immer mehr diese Nähe und dieses Intime, warme Taktile suchte, wo bei Diver noch das Endlose und das Unbekannte zentral war. Bei Closer suchte ich jetzt die Nähe und das Warme. Und deshalb wurde es so auch zu diesem Konzept, irgendwann hat es dann dieses Thema von “Closer” bekommen. Es hat zwar eine Weile gedauert, aber irgendwann macht es dann zum Beispiel mega Sinn, dass ich eine Blume, die neben meinem Hauseingang wächst, an der ich vorher immer einfach vorbeigelaufen bin, zum ersten Mal richtig anschaue und denke “Oh wow, so sieht das aus!”. Also geht es um das ganz nahe Herangehen und genau hinzuschauen. Und diese Nähe abzufeiern und zu schätzen lernen. Und natürlich spielte auch die Pandemie im Prozess eine gewisse Rolle; es ist nicht mehr das «Hey ich will nach Tokyo fliegen», das ist jetzt mit dem Klimawandel ja eh etwas vorbei, sondern wir gehen jetzt in die Nähe, wir gehen zum Lokalen, wir sind da!

 

frachtwerk: Und wenn sich das Thema oder das Gefühl dann mal festigt, wie gehst du dann weiter?

 

Tobias Preisig: Dann nimmst du das auf und schaust, dass alles in diese Richtung geht, dann nimmst du diesen Mantel, diesen Gefühlsmantel und hüllst dich darin ein und arbeitest darin, komponierst weiter und suchst was darin alles möglich ist. So ein Mantel oder so ein Konzept ist hilfreich, dass man wie einen Anhaltspunkt hat, denn es ist ja Instrumentale Musik und die ist ja völlig abstrakt, also keinen Gesang der leitet oder der eine Geschichte erzählt, du musst die Geschichte irgendwie selber erzählen und um diese Geschichte zu erfassen, dazu brauche ich etwas Konkretes als Motiv, um mich daran zu machen und die Geschichte musikalisch einzubauen.

 

frachtwerk: Das Konzeptalbum ist ja etwas das irgendwie ein wenig verschwindet besonders auch mit der Entwicklung von Spotify etc., ist das für dich im künstlerischen Schaffen etwas wichtiges an einem Projekt zu sein oder siehst du dich auch kleinere Werke, Singles zu produzieren?

 

Tobias Preisig: Ich schliesse es sicher auch nicht aus, aber ein Album ist für mich wie ein Buch zu schreiben und für mich braucht es immer einen Bogen, ein Anfang und ein Ende, also es kann dann rezipiert werden, wie man will, die Tracks können auch einzeln gehört werden, aber ich brauche das, diesen Bogen und ich finde es macht auch die Musik stärker.

 

frachtwerk: Also hörst du auch selbst am liebsten Konzeptalben?

 

Tobias Preisig: Ja ich habe jetzt nicht so grossartig recherchiert, aber ich weiss dass es das gibt, zum Beispiel Music for Airports von Brian Eno, dieser grossartige Titel mit dem man es schon einordnen, schon verknüpfen kann, da kann man sich bereits etwas vorstellen. Und ich finde das macht es zugänglicher. Für mich waren auch Titel immer wichtig, ich fand es auch immer komisch, wenn man ein Kunstwerk irgendwo sah, dass zB. «untitled Nr. 375» hiess.

 

frachtwerk: Du hast ja neben den von dir so beschriebenen abstrakten instrumentalen Elementen aber auch konkrete Teile auf Closer mit den Field Recordings. Wieso arbeitest du Field Recordings in diesem Projekt?

 

Tobias Preisig: Ich glaube da geht es für mich darum die Aufmerksamkeit auf die Surroundings zu lenken, du gehst durch die Stadt und beginnst einfach mal zu hören. Es geht aber besonders darum die Awareness auf das Nahe, sich Umgebende zu schulen und zu fördern, darum dass man etwas hört und von etwas umhüllt wird das man nicht kennt aber spürt. Mega spannend ist, besonders wenn man mehrere Field Recordings übereinander schichtet, da kann man zum Beispiel Strand und Dschungel zusammen vermischen und dann hat man seine neue akustische Welt kreiert.

 

frachtwerk: Wo hast du denn die Klänge aufgenommen?

Tobias Preisig: Hauptsächlich in meiner nahen Umgebung, aber ich war auch mal mit meiner Familie in Südfrankreich in den Ferien und da zum Beispiel das Poolblubbern, oder dann hatten wir eine Panne und warteten in der Wüste vier Stunden und da nimmst du mal etwas auf und das ist eben auch cool, jeder Sound hat ein wenig eine Geschichte. Ich bin schon auch nach Sounds suchen gegangen aber auf diesem Album ging es mehr darum einfach mal aufzunehmen und schauen was passiert.

 

frachtwerk: Deine Familie kommt auf dem Album also irgendwie vor, und jetzt frage ich mich wie siehst du dich selber in diesem Projekt gibt es darin auch eine Form von Körperlichkeit, erscheinst auch du darin als Subjekt, oder erschaffst du einfach diese abstrakten Klänge setzt dich aber nicht mit ein?

 

Tobias Preisig: Ja ich glaube es ist schon persönlich und die Geige habe ich absichtlich sehr nahe aufgenommen und damit war ich gezwungen sehr leise zu spielen, eine Technik, die ich versuchte zu entwickeln. Und die Geige ist somit sehr präsent und damit vielleicht der Protagonist könnte ich annehmen, aber ich habe da etwas mega Schönes entdeckt, bei diesem nahen und leisen Stil wird die Erfahrung sehr taktil und intim. Ich bin also schon präsent in der Musik, aber die Familie eigentlich eher nicht.

 

frachtwerk: Du hast ja mal Jazz studiert?

 

Tobias Preisig: Ja, Jazz und Klassik, Bachelor Jazz, und Master in Klassik. Ich habe in Bern angefangen und in New York den Bachelor beendet. Und dann bin ich zurück und war total schlecht auf der Geige, weil es irgendwie nie wirklich Jazz auf der Geige gab. Meine Lehrer waren ein Saxofonist und ein Pianist. Und da kam ich zurück und habe total schlecht gespielt, musikalisch hat es immer funktioniert, technisch aber nicht wirklich und deshalb bin ich noch ans Konservatorium in Zürich und habe noch zwei Jahre Klassik studiert

 

frachtwerk: Und wie wichtig ist dir das Technische heute? Also das Instrumentaltechnische.

 

Tobias Preisig: Da ist das Interesse bei mir eigentlich komplett weggefallen, inzwischen habe ich das Glück, dass ich ein Niveau habe, wo es mir egal sein kann. Ich brauche da auch gar nicht mehr. Ich suche jetzt mehr Sounds oder Ausdrucksmöglichkeiten. Meine Musik ist auch geigentechnisch sehr simpel. Ich spiele mega wenige Töne, also wenn jemand mich sieht, oder hört der Geige oder Klassik studiert, fragen die sich «Wieso machst du nicht, wieso zeigst du nicht?» etc., Weil die immer noch total von diesem «Zeigen» ausgehen, und ich finde das jenseitig boring, das bringt ja auch nichts, und das interessiert auch niemanden. Und ich glaube, wenn du eine eigene Sprache entwickeln willst, musst du dich eh von all dem lösen.

 

frachtwerk: Und gibt es aber noch eine Beziehung zum Jazz?

 

Tobias Preisig: Nein nicht mehr so wirklich. Vielleicht die offene Haltung, dass im Moment immer etwas passieren kann, auch auf der Bühne, das ist immer noch so, denn sonst ist es dann ja sehr langweilig, es muss im Moment immer etwas passieren. Aber jetzt nicht im Improstil dass ich Viertausend Töne spiele, sondern zum Beispiel mit einem speziellen Raum spielen. Wie damals bei einem Konzert im Neubad, ein Raum, in dem es extrem hallt, und dann spiele ich mit diesem Raum, ich ziehe Songs in die Länge, vielleicht mal einen anderen Song spielen als sonst. Das ist für mich die Improvisation. Und ich habe ja die totale Freiheit als Soloartist es ist niemand auf mich angewiesen, niemand wartet auf mich. Und dieser Improaspekt ist mir noch sehr wichtig und der kommt vielleicht noch aus dem Jazz.

 

frachtwerk: Welcher ist der letzte Track, den du dir angehört hast?

 

Tobias Preisig: Das war Immensità von Andrea Laszlo de Simone.

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