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«Ich finde an elektronischer Musik derzeit wenig Gefallen» – Samuel Savenberg über Unsung11 min read

18. April 2023 7 min read

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«Ich finde an elektronischer Musik derzeit wenig Gefallen» – Samuel Savenberg über Unsung11 min read

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«Unsung» heisst die neue Platte von Samuel Savenberg. Das neue Werk ist hoffnungsvoller, intimer und eingängiger als Bisheriges des Luzerner Musikers. Mit seinem bisherigen Namen S S S S hat er gebrochen. Im Gespräch erzählt Samuel Savenberg warum und davon, weshalb Folk- und Clubmusik eine Familie sind.

Ohne Pardon nistet sie sich im Unterbewusstsein der Zuhörenden ein. Sie streichelt das Herz, ehe sie mit vollem Caracho durch Mark und Knochen fährt – die Musik von Samuel Savenberg. Der Luzerner Musiker, bis anhin produzierend unter dem Pseudonym S S S S veröffentlichte am vergangenen Freitag seine neue Platte «Unsung». Ein Epos elektronischer Musik, das der Künstler selbst gerne als Folk-Album einordnet.

Technischer und musiktheoretischer Hinsicht ist «Unsung» durch und durch ein experimentelles elektronisches Album. Es wirft viele Fragen auf. Einige davon stellen wir ihm und finden dabei heraus, weshalb der Musiker auf die Einfachheit im noch so Komplexen setzt, warum Unsung zwar keinen Gesang und trotzdem Songtexte beinhaltet und wieso Folk- und Clubmusik so stark miteinander verwandt sind. 

Ein Gespräch über Selbstbilder, das eigene Schaffen und die Sinnhaftigkeit von Unterhaltungskultur.

Interview mit Samuel Savenberg

frachtwerk: Samuel Savenberg, du trittst mit der Veröffentlichung von «Unsung» unter neuem Namen auf. Dein bisheriges Pseudonym «S S S S» gehört nun der Geschichte an. Warum?

Samuel Savenberg: Ich würde nicht sagen, dass «S S S S» nun völlig der Vergangenheit angehört, aber es war schon wichtig, da irgendwie einen Bruch zu machen. Für mich persönlich zumindest hat das eine symbolische Wirkung gehabt. Ob das gegen aussen auch so wirkt, kann ich nicht wirklich sagen. Ich denke, für viele Leute, die mich kennen, bin ich eh einfach der Samuel, der irgendwas komisches mit Musik in verschiedenen Projekten und Formationen macht. 

frachtwerk: Was bekommen die Zuhörer:innen von diesem «Cut» zu spüren?

Samuel Savenberg: Von aussen betrachtet hat das vermutlich wenig Einfluss. Unsung ist während der letzten knapp drei Jahren entstanden. Es hat damit begonnen, dass ich mal etwas unter meinem eigenen Namen veröffentlichen wollte. So konnte ich auch mit dem bisher oft der Clubmusik angelehnten Stil etwas brechen. Und es ergab es sich, dass ich 2020 die selektive Kulturförderung vom Kanton Luzern bekommen habe, was als eine Art Kickstart für das, was jetzt unter neuem Namen rauskam, zu interpretieren ist. 

«Meine Musik besitzt viele Widersprüche.»

frachtwerk: Nun ist dein neues Werk «Unsung» da. Wie präsentiert sich auf dieser Platte der neue Charakter deiner neuen Musik?

Samuel Savenberg: Da sich der Entstehungsprozess über eine – zumindest für meine Verhältnisse – sehr lange Zeit gezogen hat, sind gewisse Entscheidungsfindungen im Nachhinein auch für mich nicht mehr ganz so klar. Ursprünglich sollte das ganze ja auch ein Kollabo-Album werden mit vielen Gästen, Gesang und so weiter. Dass das nicht klappen würde, hat sich erst nach einer Weile herauskristallisiert. Viele Ideen für die Musik geisterten aber schon sehr lange in meinem Kopf herum, ein paar davon habe ich in der Vergangenheit auch schon versucht umzusetzen, es hat dann aber doch irgendwie nicht geklappt. So gesehen weiss ich auch gar nicht, wie ‘neu’ der Charakter dieser Platte ist. 

Der Name ‘Unsung’ lässt sich ja vielseitig interpretieren. Er bedeutet sowas wie «unbekannt», «ungesungen», oder eben auch «unbesungen». Ich würde sagen, dass der ganze Prozess ziemlich vage war. Meine Musik besitzt viele Widersprüche. So gibt es viele fragile und harmonische Melodien, die viele Menschen als schön empfinden. Sie stehen im Wechselspiel mit harten und lärmigen Elementen. Für mich sind das gleichwertige Komponenten, die fast schon in einer Art Ambivalenz zueinander stehen. Aber für viele ist da natürlich sofort eine Reibung zu erkennen, die wiederum als anstrengend wahrgenommen wird. Weil sie eben auch eine Nervosität und das Ungenaue und Unpräzise in sich birgt. 

Ich weiss, dass das nicht zwangsläufig ein Selling Point für meine Musik ist, aber es macht sie wohl oder übel auch aus. Und ich finde es auch immer wieder toll, wenn Musik, gerade wenn sie – ob jetzt absichtlich oder nicht – mit Extremen und Kontrasten spielt, so unterschiedlich verstanden wird. Und ich glaube dieses Hin- und Her, diese Ambivalenz macht mich als Musiker aus. Und wohl oder übel auch als Menschen. (lacht).

frachtwerk: Hattest du beim Entstehungsprozess von Unsung das Gefühl, dass deine Musik einem Bild entsprechen muss, das dir und deinem Schaffen von aussen zugeschrieben wird? Oder bist du da komplett frei von äusseren Einflüssen?

Samuel Savenberg: Jein! Zum einen ist es so, dass ich zu wissen glaube, was bei elektronischer Musik zurzeit funktioniert. Sowohl musikalisch, inhaltlich, ästhetisch als auch gesellschaftspolitisch. Und ich weiss dabei, dass ich das nicht verkörpere – und es auch nicht will. Und ganz ehrlich, ich würde es auch nicht hinkriegen, das würde nicht funktionieren. . Es gibt bestimmt Erwartungen an mich und an meine Musik, wie sie sein soll.

Und was Ersteres betrifft, fühle ich mich schon oft in eine gewisse Ecke gedrängt. Ich denke mir jeweils: ‘ Das ist schon ein Teil von mir, aber eben nicht alles. ’ Also gerade, wenn Leute mich irgendwie nur mit Lärm, Krach und Zerstörung in Verbindung setzen. Doch ich bin zu faul, um dem proaktiv entgegen zu kämpfen. Und: Wie soll man das denn überhaupt tun? Man kann die Meinung, die Leute über einen haben, nicht beliebig ändern. Und ich habe diese teilweise ungerechtfertigten Meinungen über andere Leute und Bilder von gewissen Leuten manchmal auch, also bitte schön.

Ich finde derzeit tatsächlich sehr wenig Gefallen an elektronischer Musik. Das heisst nicht, dass sie nicht gut wäre oder so, aber ich bin da momentan  einfach nicht so drin oder interessiert. Ich hab schon immer viel verschiedene Musik gehört, aber es gab Zeiten, da hatte ich das Gefühl, ich müsse mich wirklich nonstop informieren, was gerade so passiert in “meinem” Genre. Da habe ich entsprechend sehr viel gehört und mich bestimmt auch davon beeinflussen lassen.

Im Entstehungsprozess dieses Albums habe ich gelernt, mich wieder mehr davon zu emanzipieren. So kann ich nun ganz entspannt meine Folk-Platten hören und das hört man auf «Unsung» bestimmt heraus (lacht).

«Viele meiner Freunde machen grundsolide Rockmusik.»

frachtwerk: Wenn man dir zuhört, klingt es als wärst du ein ganz anderer Mensch als es deine Musik vermuten lässt. Du holst dir deine Inspiration von aussen, von anderen sozialen Umfeldern und von anderer Musik, richtig?

Samuel Savenberg: Also ich bin jetzt nicht der grösste Socializer, den man auf jeder Party antrifft oder so, ich bin schon auch gerne und oft alleine, aber klar hab ich ein soziales Umfeld, welches mich auch inspiriert. Und ja, viele meiner Freunde machen einfach grundsolide Rockmusik (schmunzeltI. Ich glaube auch nicht, dass man Menschen einfach so anhand der Musik, die sie machen, gleich diagnostizieren kann. Also klar ist die Musik ein Teil von mir und klar mag es vielleicht auf gewisse Eigenschaften hindeuten, aber als Mensch hat man hoffentlich ja auch nicht nur eine Gemütslage. 

frachtwerk: Erzähl uns doch noch ein bisschen mehr über dein privates Umfeld.

Ich weiss gar nicht so recht, das ist relativ unspektakulär, dafür aber konstant. Als ich angefangen habe Solo Musik zu machen, war ich über längere Zeit der einzige in meinem Kreis, der sich da auch getraut hat, Ambitionen zu zeigen. Das war teilweise auch ein bisschen verpönt, hatte ich das Gefühl. Das hat mir aber auch viel gebracht, weil ich dadurch auch wirklich ‘mein Ding’ durchziehen konnte. Im Laufe der Zeit, wenn der Bekanntenkreis immer mehr und mehr aus Musiker:innen besteht, muss man sicherlich auch manchmal aufpassen, dass man da bei sich bleibt. Und es gibt halt schon auch viele Egos und Divas.

Andererseits ist es eben auch einfach ein Job. Da gibt es ein Handwerk abseits von Hypes, Social Media und was auch immer. Die Arbeit im Hintergrund, die vieles überhaupt erst möglich macht. Und wenn ich mich mit anderen Musiker:innen austausche, sind das oft auch eher diejenigen. Die Büezer sozusagen. (lacht) 

frachtwerk: Könnte man sagen, dass sich dein Umfeld auf deiner aktuellen Platte besonders stark ausgewirkt hat? 

Samuel Savenberg: Beim Prozess von «Unsung» habe ich erstmal nicht nach Referenzen gesucht, also nach Musik, nach der mein Album klingen könnte. Vielmehr habe ich mich gehen lassen. Ich habe viel Musik gehört, die nicht unbedingt elektronischer Natur ist. Das hat das Album sicher stark beeinflusst. Akustische Instrumente sind viel präsenter als früher. Nicht dass sie früher nicht schon mit am Start gewesen wären, doch ich traute mich diesmal, sie viel prägnanter zu präsentieren. 

Im Entstehungsprozess des Albums wurde dann für mich plötzlich klarer: Eigentlich handelt es sich um eine Art Folk-Album. Das meine ich nur halb ernst, doch es schwingt definitiv eine gewisse Simpelhaftigkeit im Album mit, die sich an die Einfachheit der Folk-Musik anlehnt. Ich wollte ein Album produzieren, das ich selbst einfach ästhetisch schön finde. Und diese Ästhetik kommt für mich aus der traditionellen Musik, die weder Hochkultur noch avantgardistisch ist. Sie besteht aus einfachen Patterns und Strukturen, die sich wiederholen und aus Liedern, die nicht allzu lange dauern im Vergleich zu anderer Musik aus dem Ambient oder der experimentellen Musik.

«In die elektronische Klubmusik hat sich immer mehr ein akademischer Anspruch eingeschlichen.»

frachtwerk: Sind diese «einfachen Mittel», an denen du dich für dieses Album bedient hast, auch eine Art Zugänglichmachung für deine sonst so anstrengende Musik? Das Album hört sich nämlich schon um einiges «ruhiger» und hoffnungsvoller an als bisherige Werke von dir.

Samuel Savenberg: Ich glaube schon, dass das auch ein Punkt ist. Die Elemente helfen in dieser Hinsicht bestimmt. Hinzu kommt vermutlich auch die Länge des Albums, dass die meisten Tracks mit unter vier Minuten Länge eher kurz sind im Vergleich zu anderen Werken in diesen Genres. Aber wie schon gesagt, der ganze Entstehungsprozess war ein einziges Hin- und Her und ich könnte jetzt nicht sagen, ob das eine ganz bewusste Entscheidung war, aber irgendwann ist es mir jedenfalls selber auch aufgefallen.

Viel Musik in den Genres, in denen ich mich bewege, fordert seine Zuhörer:innen etwas heraus, sie bedingt ein gewisses Know-How unter den Zuhörenden, damit man das Album in vollen Zügen geniessen kann. Das war bei mir jedenfalls nicht die Intention und ich hoffe, dass sich die 33 Minuten auch nicht so anhören. Dieser akademische Anspruch hat sich irgendwie  immer mehr in die elektronische Klubmusik eingenistet. Ich finde, Komplexität oder Cleverness ist kein Kriterium für gute Musik. 

frachtwerk: Und da schliesst sich der Kreis, oder? Schlussendlich ist beides Musik fürs Volk, oder?

Samuel Savenberg: Ja, genau! Es klingt vielleicht populistisch, aber es geht um die Idee von einfacher Musik der Leute, die einen begleitenden und funktionalen Charakter hat. Sie beginnt beim Gute-Nacht-Lied, das man seinem Kind vorsingt beim Einschlafen und ich finde beispielsweise Techno gehört da auch rein. Diese Art von Musik dient schlichtweg der Unterhaltung und das ist wunderschön. Da gibt es nichts daran, das zu verwerfen wäre. Darum sehe ich da gewisse Parallelen.

Natürlich gibt es auch immer wieder Strömungen, die eben genau damit zu brechen versuchen und ich finde das ebenso spannend. Teilweise kann man sich aber auch fragen: Warum braucht es immer diesen Bruch? Wenn man diese Frage nicht so genau beantworten kann, wenn es im Primären nur eine Art von Rebellion ohne Zweck ist, dann sind es oft Werke, die schlecht altern. Man wird sie immer leicht einer gewissen Strömung oder einer gewissen Zeit zuordnen können.

frachtwerk: Zum Schluss noch eine Frage zu den Songtexten: Es gibt sie, aber es singt sie niemand. Da brauchen wir eine Erklärung für.

Samuel Savenberg: (schmunzelt) Mit dem Namen Unsung ist irgendwann mal die Idee aufgekommen, dass man das Album mit etwas ergänzen könnte. Wir fragten uns: Was könnte man einem digitalen Release noch beifügen? Ich hatte das Gefühl, dass es noch irgendwas dazu geben sollte. Dann haben wir uns überlegt, was das denn sein könnte und da Unsung ja ursprünglich als Kollabo-Album angedacht gewesen wäre, machte es Sinn, Leute anzufragen, die für das bereits fertig produzierte Album imaginäre Songtexte schreiben sollten. Das war eine sehr spontane und tolle Idee vom Label. Es wird also ein Booklet geben mit verschiedenen Texten von diversen Künstler:innen, das man als Special-Print-Version an der Plattentaufe im Südpol Luzern kaufen kann.

frachtwerk: Da sind wir gespannt! Vielen Dank für deine Zeit.

Die Plattentaufe von Samuel Savenberg neusten Werks «Unsung» findet diesen Donnerstag, den 20. April 2023 im Südpol Luzern statt. Tickets gibt es noch im Vorverkauf.

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Titelbild: zVg

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