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Wo liegt die Grenze zwischen Spiritualität und Lust? – Filmkritik «Foudre»3 min read

27. April 2023 2 min read

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Wo liegt die Grenze zwischen Spiritualität und Lust? – Filmkritik «Foudre»3 min read

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Carmen Jaquier setzt sich in ihrem neuen Film «Foudre» intensiv mit der Frage, wo Spiritualität zu finden ist und ihre Grenze zu Lust steht, auseinander. «Foudre» ist eine immer noch aktuelle Geschichte über die Macht und Autorität der vermeintlich harmlosen Kreuze auf den Spitzen des Alpenmeers.

Ein Beitrag von Soley Tobler

Ich wollte aufstehen und irgendwas von mir geben, egal was, Hauptsache laut. Um dieses erdrückende Gefühl, in das mich der Film zog, zu durchbrechen. So muss sich die Hauptfigur Elisabeth von «Foudre» in der Schweiz 1900 fühlen, in der Sexualität ein Tabu ist und Gefühle in Stille erstickt werden. Durch den unerwarteten Tod ihrer älteren Schwester muss die siebzehnjährige in die Alpen der Südschweiz zu ihrer Familie zurückkehren, wo sie für die harte Arbeite auf dem Land gebraucht wird. Der Tod ihrer Schwester wird aber mit Schweigen umhüllt. Die Geheimnisse um das Geschehen treiben Elisabeth an, für das Recht auf Wahrheit zu kämpfen.

Ein Weckruf

Eine bildende Grundlage der Geschichte sind die Gefühle von Scham und Minderwertigkeit vieler Frauen, welche eng verbunden sind mit der Kirche. Besonders stark setzt der Film den Fokus auf das Verhältnis zwischen der Gesellschaft, dem Individuum und dem Sein der Frau. Es lässt einen erschaudern wie die Gesellschaft und das religiöse Patriarchat besonders die Gegenüberstellung von Lust und Glauben zelebrierten – Lust als eine Machenschaft des Teufels und Sex nach der Ehe ausschliesslich als Reproduktionsmittel. Im Film löst Jaquier diese Grenze zwischen Lust und Spiritualität.

Die Themen in der Geschichte, welche vor über 100 Jahren spielen, sind noch immer aktuell. Heute stehen wir mit feministischen Streiks und Demos für unsere Rechte ein. «Foudre» ist nicht nur einen Kinobesuch zur Unterhaltung, sondern einen Weckruf. Nun erkenne ich auch wie herrschend und einnehmend so ein kleines, vermeintlich harmloses Kreuz auf der Spitze eines Alpenmeers tatsächlich ist.

Vergnügen der Ohren, Honig für die Augen

Um es so zu beschreiben, hatten meine Ohren wohl einen kleinen Orgasmus. Die Musik trieb die Szenenbilder an, und ergänzten ihren Auftritt mit der Wucht eines Chors. Ungewohnt und dafür umso besser! Die Kameraführung liess mich dem Geschehen und Elisabeth so nahekommen, man hätte denken können, durch die Nähe höre man ihre Gedanken. Im nächsten Moment bestaunte ich die Pracht der Schweizer Alpen. Ich hatte die objektive Nähe, mit der ich mich der Hauptperson verbunden fühlte und doch trennte uns ein Weitwinkelbild, wie die zeitliche Distanz, in der die Geschichte spielt. Die Kameraführung erzeugt viel Spannung, und bietet einen tiefen Einblick ins Geschehen.

Wollte die Kirche sich reinwaschen?

Mit ihrer Arbeit wurde Carmen Jaquier mehrmals prämiert und erhielt unter Anderem den Filmpreis der Zürcher Kirchen. Ohne den Film anzuzweifeln, frage ich mich, ob diese Auszeichnung wirklich ausschliesslich des Filmes gilt, oder ob da bei jemandem die Kirchen- oder besser gesagt die Alarmglocken klingelten? Denn die Kirche kommt im Film nicht besonders gut weg. Regisseurin Jaquier selbst meint in einem Interview mit der Katholischen Kirche Zürich, dass sie überrascht war, über die Auszeichnung und sich fragte, wie die Kirche den Film interpretierte. Für Jaquier ist «Foudre» auf jeden Fall eine Unterstützung, die Gewalt sichtbar zu machen, die von religiösen Autoritäten bis heute begangen wird.

Was man also auf den romantisierten Postkarten von früher sieht, auf denen Menschen in blühenden Feldern arbeiten, ist und war schwere Arbeit. Und die Kämpfe, die dort geführt wurden, spüren und führen wir noch heute. Genauso wie wir lieben, Lust und Triebe empfinden. Geht ins Kino und lasst euch dieses Gedicht von einem Film auf der Zunge vergehen!

Titelbild: Sister Distribution