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«Jede Performance ist für mich wie ein modernes Ritual» – Interview mit Baby Volcano an der Bad Bonn Kilbi 20237 min read

6. Juni 2023 5 min read

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«Jede Performance ist für mich wie ein modernes Ritual» – Interview mit Baby Volcano an der Bad Bonn Kilbi 20237 min read

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Am Freitag vor dem grossen Ereignis der eigens für die Kilbi konzipierten Show trafen wir Baby Volcano im Backstage. Wir redeten über die Einflüsse ihrer Musik, über die Mysterien des Körpers, über Genealogie und Vulkane. Sie erzählt darüber wie überfordernd die Energie des Publikums sein kann, was ihr in einer Performance wichtig ist und wie ein Konzert sowohl Ritual und Spiel zu gleich ist. 

frachtwerk: Was erwartet uns heute Abend?

Baby Volcano: Es wird im Grundsatz eigentlich derselbe Gig sein, den ich jetzt seit etwa einem Jahr schon auf meiner Tour so performe, aber für heute Abend haben wir dazu mehrere Tänzer:innen und Performer:innen auf die Bühne eingeladen. Sie werden nicht bei jedem Track auftreten, sondern werden bewusst eingesetzt, um genau das zu ermöglichen was ich auf der Bühne ausdrücken will. Auch habe ich heute Rebecca Solari und Nathalie Fröhlich mit mir auf der Bühne, mit denen ich gut befreundet bin. Ich liebe, wie sie auf der Bühne performen, sie haben beide eine grossartige Energie. Es ging mir darum eine Community auf der Bühne zusammenzubringen, eine Familie die einander unterstützt. Es geht darum eine, energetisch grosszügige Show zu machen und viel Energie dem Publikum zu zuzusenden.

frachtwerk: Ist es das erste Mal dass die Show in dieser Formation stattfindet?

Baby Volcano: Ja, es ist das erste Mal, und wir wissen auch noch nicht, ob es nochmals in dieser Form stattfinden wird, es ist sicher eine Show die speziell für die Kilbi konzipiert wurde.

frachtwerk: Ist die Performance,das eigentliche Herzstück des Baby Volcano Projekts, oder sind die Studio Tracks ebenso wichtig?

Baby Volcano: Es ist mit Sicherheit ein Mix aus beidem, aber ich verbringe schon die meiste Zeit an Studio Tracks zu arbeiten. Und so gibt es auch ein «klassisches» Konzert wo ich einfach die Songs performe, aber natürlich gibt es auch viel «Body Work» auf der Bühne und Visuelle Eindrücke die ich einsetze. Für die Kilbi habe ich, in Zusammenarbeit mit Louis Jucker, auch an einem speziellen Instrument gearbeitet, dass die Bewegung meines Körpers benötigt, um Sounds zu produzieren. Bei Baby Volcano ist also der Mix zwischen Performance, Sound Design und «klassischem» Konzert, wenn man das so sagen kann, sehr wichtig.

frachtwerk: Wie wichtig ist, auch ausserhalb der Performance, Körperlichkeit bei Baby Volcano?

Baby Volcano: Auf «SÍNDROME PREMENSTRUAL» ist jeder Song einem Organ zugeordnet, und für mich war es da sehr wichtig nahe am Motiv des Körpers zu bleiben, weil ich damit sehr vertraut bin als Künstlerin. Und mit meiner Kunst wollte ich genau darstellen, wie der Körper sich selbst ganz anders als das Gehirn ausdrückt. Zum Beispiel was mein Uterus kommunizieren will oder mein Plexus Solaris. Ich wollte mir meinen Körper auf diese Weise wieder aneignen, und Menschen einladen dasselbe zu tun.

frachtwerk: Also sich nicht nur durch verbale Sprache auszudrücken aber auch durch den Körper?

Baby Volcano: Exakt, Bewegung und Musik und die Lyrics funktionieren bei mir auf demselben Level. Ich arbeite auch mit Kostümdesign, ich kreierte meine und die Outfits aller Performer:innen. Jedes Element, Sound Design Performance, Kostüm, Lyrics, alle drücken dasselbe aus, aber auf eine andere Weise. Es war mir wichtig mit diesem Projekt ein Universum zu erschaffen, das auf verschiedenen Ebenen funktioniert.

frachtwerk: Was ist dein Hintergrund? Hast du Musik oder Performance studiert?

Baby Volcano: Ja, ich habe Performance Art studiert, aber nicht an einer Universität oder Kunstschule. In dieser Zeit meines Studiums habe ich in Buenos Aires gelebt und da habe ich mit vielen Künstler:innen zusammengearbeitet und viele Workshops besucht. Und so konnte ich viele Kunstpraktiken ausprobieren. Da habe ich sehr früh erkannt, dass ich meine Kunstpraxis weiterbringen wollte. Und so war es für mich auch wichtig darin frei zu bleiben und deshalb wahr wohl die Ausbildung ausserhalb einer Institution auch der richtige Weg.

frachtwerk: Woher ziehst du die grössten Inspirationen, was thematisierst du in deiner Musik?

Baby Volcano: Das Organische war immer in allen meinen Kunstprojekten, und so auch bei Baby Volcano, sehr wichtig. Der Körper, die Natur, das Jura wo ich aufgewachsen bin, Guatemala wo meine Familie herkommt, die Vulkane, sind alles Quellen für Motive in meiner Musik. Mich fasziniert das Mysteriöse, zum Beispiel was im Körper vor sich geht. Und ich bin auch sehr interessiert an der Genealogie, der Geschichte meiner Familie. Also bildet sich aus allen Einflüssen von Lateinamerika, von Guatemala und aus den Einflüssen aus dem Jura, der Wald, die Menschen da, die Erde, die Gärten, die Insekten, diesen mysteriösen Motiven die Inspiration und die Motive für Baby Volcano. Musikalisch liebe ich Noise, Hip-Hop, Latin-Einflüsse, und ich liebe Reggaeton. Ich will Musik kreieren die Menschen berührt, Musik die grosszügig ist, ich liebe auch wenn Menschen zu meiner Musik tanzen, also körperliche Rezeption ist mir auch sehr wichtig.

frachtwerk: Wo hat diese Faszination an Vulkanen seinen Ursprung?

Baby Volcano: Ich habe die Vulkane in Guatemala, wo meine Familie lebt, oft gesehen. Es war für mich schon immer sehr fasznierend wie sie wirken, als ob sie lebendig wären, wenn man im Dorf ist, sieht man sie explodieren oder man hört ihr Donnern. Sie faszinieren mich, weil sie in konstanter Bewegung sind. Es ist spannend, weil sie uns daran erinnern, wie verrückt es ist, dass wir auf einem Feuerball leben. Ich habe manchmal das Gefühl, dass auch die Erde irgendwie Emotionen , und unser Körper diese Eruptionen hat. Diese Verbindung zu spüren ist etwas sehr Schönes.

frachtwerk: Und dieses Gefühl, ist das auch etwas dass du auf die Bühne bringen willst mit deiner Performance und deiner Musik?

Baby Volcano: Ja, für mich ist es sowieso bereits da. Ich benenne meine Musik  auch als «Witch Pop», weil es ein Mix zwischen verschiedenen Stilrichtungen ist und es für mich Sinn machte meine Musik einzuordnen und zu benennen.

frachtwerk: Ist das Okkulte also auch ein Thema in deiner Musik? Vielleicht Rituale oder Zeremonien?

Baby Volcano: Ja, die Musik ist genau das für mich. Jede Performance ist für mich wie ein modernes Ritual, dreitausend Menschen gehen an einen Ort, um dasselbe hier zu fühlen, das ist für mich wie ein modernes Ritual. Ich muss aber dazu keinen Exorzismus auf der Bühne durchführen, weil dieser ritualistische Kontext durch die Performance und durch die Musik sowieso schon gegeben ist. Es ist komisch, wenn man darüber nachdenkt, wenn dreitausend Menschen an einen Ort gehen um eine Person zu sehen die auf der Bühne performt. Deshalb muss ich  eine Performance auch wie ein Spiel sehen, denn es ist komisch wenn ich darüber reflektiere. Die Kraft die ich auf der Bühne habe, ich sage dem Publikum etwas und sie tun es «like wtf?!». Und was am schönsten für mich ist, ist den Menschen etwas zu geben und gemeinsam etwas in der Gegenwart zu erschaffen.

frachtwerk: Also geht es auch um einen energetischen Austausch? Inkludierst du die Energie des Publikums auch mit in die Performance?

Baby Volcano: Ich arbeite daran. Ich bin es mir noch immer nicht gewohnt solch eine Energie vom Publikum entgegengebracht zu bekommen, denn im Theater oder in Tanzperformances schreien dir nicht alle fünf Minuten Menschen entgegen oder machen Lärm, sondern da sind sie ruhig und sitzen wohlgebildet im Dunkeln. In der Musikszene hat man auch viel mehr Menschen vor sich und eine ganz andere Energie. Es ist grossartig zu sehen, wie dir die Menschen im Publikum folgen, bei dem was du machst, aber zugleich ist es auch total überfordernd, um es verarbeiten zu können. Ich bevorzuge also die Energie, die ich bekomme, gleich wieder zurückzugeben, denn sonst wäre es total zu viel Energie die bei mir liegt.

frachtwerk: Was ist das letzte Lied, das du dir vor diesem Interview angehört hast?

Baby Volcano: Als wir auf das Gelände kamen, hörte ich mir gerade Perra von Tokischa an.

 

Titelbild: frachtwerk

 

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