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Ohnmacht, Perfektion und Einsamkeit während der ukrainischen Revolution «Euromaidan»5 min read

10. März 2022 4 min read

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Ohnmacht, Perfektion und Einsamkeit während der ukrainischen Revolution «Euromaidan»5 min read

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Brutalste Polizeigewalt gegen Zivilist:innen dauerten mehrere Monate an, als 2014 der Höhepunkt der revolutionären Aufstände, bekannt als Euromaidan, gegen die damalige Regierung vor sich ging. Elie Grappes erster Langspielfilm «Olga» führt das Publikum nun durch genau diese Ereignisse und Spannungen. Olga ist eine junge ukrainische Turnerin, die ihre korrupte Heimat unter Janukowytsch verlassen muss und in die Schweiz ins Exil flieht. Es treffen zwei Welten aufeinander, welche Olga in eine innere Zerrissenheit stürzen. Eine erschütternde Geschichte, die uns während des aktuellen Krieges in der Ukraine erreicht.

«Free Ukraine, free Ukraine!» rufen die Menschen am Majdan-Platz, dem Platz der Unabhängigkeit in Kiew, als sie gleichzeitig von der Polizei eingekesselt und brutal verschlagen werden. Der Film «Olga» spielt während der Aufstände des Euromaidans, eine Zeit zwischen November 2013 und Februar 2014, während jener der Rücktritt des damaligen Präsidenten Janukowytsch und der Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union gefordert wurde. Durch Bilder, die über Social Media und im Fernsehen kursieren, oder Videochats mit Bekannten, bekommt die Hauptfigur Olga alles zeitgleich in der Schweiz mit, was in der Ukraine und mit ihren Geliebten geschieht. Auf der einen Seite des Videocalls hört und sieht man das Gefecht der Revolution im Hintergrund, auf der anderen Seite ertönen die Abpralle der Turnerinnen der Schweizer Nationalmannschaft, die zwischen Barren und Matten trainieren.

Olga befindet sich im Exil in der Schweiz, um ihren Traum, an den Europameisterschaften teilzunehmen, weiterzuverfolgen. Die Leidenschaft für diesen Sport treibt sie dazuichtige Entscheidungen zu treffen, obwohl sie noch so jung ist – so nimmt sie durch die nötige Einbürgerung in die Schweiz für die Aufnahme in die Schweizer Nationalmannschaft den Verlust der ukrainischen Staatsbürgerschaft in Kauf. Der Fokus liegt in ihrem Leben lediglich auf  Turnen, alles rundherum scheint weniger wichtig zu sein – bis die Revolution eintritt und sie aus ihrer Realität reisst. Es liegt eine Spannung in der Luft, indem sie weder in der einen, noch in der anderen Welt sich zurechtfinden kann.

Olga vertritt die Schweizer Nationalmannschaft. (Bild: zVg)

Absurdität unserer Realität

Die Diskrepanz zweier komplett verschiedenen Welten prallen in diesem Film mit der Hauptfigur Olga aufeinander – Zum einen die Realität der brutalen Revolution in der Ukraine, zum anderen die Perfektion und der Drill, welche die jungen Sportlerinnen an den Tag legen müssen. Auch die verschiedenen Szenen trennen die Welten bildhaft voneinander – der karge, einsame Trainingsort auf einem Bergplateau abseits der Zivilisation in Biel und dann Bilder der kämpferischen Masse der Revolution in der Ukraine. Wortlose Szenen begleitet durch Abpralle und harte Kommentare vom Coach zeigen die Realität und Ansprüche an die Spitzensportler*innen, die auch nur Teenager sind. Die Kraftvollen Bewegungen und selbstbewusste Haltung dekonstruieren in diesem Film auch den zu oft erotisierten Frauenkörper in dieser Sportart, wie Regisseur Grappen gegenüber das Lamm erzählt:

«Eine der ersten Dinge, die ich in der Sportakrobatik beobachtete, war, dass von diesen jungen Frauen superfeminine Choreographien verlangt wurden, aber alles drumherum – ihr  Körper und ihre Kraft – nicht dieser erdachten Weiblichkeit entsprechen. Es gibt also ganz klar eine Spannung zwischen diesem patriarchalischen Sportsystem, das den Turnerinnen vorschreibt, wie sie eine Frau zu sein haben, und dem, was sie sind. Das sind junge Menschen mit Kraft, Haltung und Bewusstsein, hoch professionell und entwickelt.»

Doch so absurd die Vermischung dieser zwei Welten in diesem Film erscheint, so stellt der Film auch die Absurdität unserer Realitäten dar. Die Schweiz ist ein «neutrales», reiches und privilegiertes Land. Der Film macht klar, dass das Leid, das in vielen Ländern wie in der Ukraine momentan durch die Gesellschaft zieht, innerhalb unserer Landesgrenzen nie nachvollzogen werden kann. Denn eine solche Betroffenheit mit einem vergleichbaren Ausmass hat sie nie erlebt. Und doch scheinen sich die Welten derzeit mehr zu vermischen als auch schon. Menschen aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Blasen treten auf ihre eigene Art und Weise näher an die Ukraine, an ihre Geschichte und an ihren Kampf, den sie gerade führen. So ist der Film – gerade weil er im Kontext des aktuellen Krieges in den Kinos läuft – augenöffnend und stellt im Kontext unserer Schweizer Privilegien eine Art Absurdität der Realität dar.

Das dominierende Ohnmachtsgefühl

Das Ohnmachtsgefühl, welches auch gerade jetzt Menschen aus der ukrainischen Community oder Menschen mit Bekannten oder Verwandten in der Ukraine haben, thematisiert dieser Film ebenso. Es sind Gefühle der Einsamkeit, des Heimwehs und der Schmerz der Hilflosigkeit, die unerträglich und spürbar sind. Ohnmacht bedeutet, ausgeliefert zu sein, der Situation, den Gefühlen, der Macht. Und auch der Distanz, wo doch die Schweiz nicht gerade um die Ecke zur Ukraine liegt. Olgas einziger Weg, diese Gefühle etwas betäuben zu können, ist der Fokus auf die Bewegungen auf dem Barren. Wie lange hält sie diese Ohnmacht aus? Die Parallelen zwischen 2014 und dem heutigen Krieg in der Ukraine sind klar erkennbar.

«Olga» wurde nicht mit Absicht während den jetzigen kriegerischen Ereignissen in der Ukraine veröffentlicht. Vielmehr zeigt er uns gerade, dass die Ukraine solche kriegerische Ereignisse in ihrer Geschichte oft erleben musste und diese Gefühle, die Olga durchmacht, nicht nur an den jetzigen Zeitpunkt gebunden sind. So erzählt Filmregisseur Elie Grappe gegenüber dem Magazin «das Lamm», dass die Hauptdarstellerin keine direkte Erfahrung mit jenen Geschehnissen 2014 hat, aber den darauffolgenden Krieg in der Ostukraine erleben musste. Diese Kraft und innere Wut setzt sie in diesem Film frei, und setzt ihre Rolle nicht zuletzt durch jene Tatsache unglaublich gut um. Etwas abrupt wirft das Ende des Filmes die Zuschauenden auf einen Ausschnitt Olgas Leben sieben Jahre später, der meiner Meinung nach etwas unüberzeugend wirkt und auch wegfallen dürfte. Doch die starken Bilder, die durch gezielte Wortkargheit unterstützt werden, schaffen es, die innere Zerissenheit der Teenagerin zwischen Leidenschaft und Identität glaubhaft zu erzählen und kurbelt in der Abhandlung verschiedener Thematiken zum Nachdenken an.

 

Anm.d.Red.: Wir wünschen allen Menschen in den Kriegen und in der Diaspora alle Kraft und allen Mut in den schrecklichen Zuständen, die aktuell herrschen und stehen mit ihnen diese Kriege durch. 

Titelbild: zVg