Fortsetzung der Gedanken von Martin Gössi

Insgesamt bin ich wohl beinahe ein Vierteljahr komplett am Vegetieren, leiden  und regenerieren gewesen, getrennt von allen Menschen die ich liebe, und als Krönung habe ich dann noch meinen Vater ein paar Wochen lang in den Tod begleitet. Kein schönes Jahr, fürwahr. Wie ich das alles wegstecke? Mit Punk natürlich! Das war die Impfung, die ich als Junge fürs Leben gekriegt habe und die mich bis heute am Leben hält. Es war exakt die Dosis die ihre Wirkung bis zu meinem letzten Atemzug enthielt.  Einerseits die Einstellung und andererseits natürlich die Musik!! Die Energie die mit Punkrock freigesetzt wird!

Natürlich höre ich mir eine ganze Menge anderer Sachen an und im Laufe meiner 55 Lenze habe ich doch schon einige interessante Sounds durch die Gehörgänge ziehen können, von Zulubeats über archaischsten Blue aus den Sümpfen bis zu eiskalten elektronischen Geräuschen. Aber immer komme ich wieder zurück zur Basis. Punk! Und gerade wenn es nicht so gut läuft ist dies die beste Therapie. Oder wenn die Energie gewichen ist. Punkplatte aufgelegt und auf laut gedreht!!! Das ist mein Doping! Das ist mein Elixier des Überlebens!

Würde meine Hütte in Flammen aufgehen und ich hätte nur noch die Möglichkeit, eine einzige Platte aus dem Regal zu ziehen, es wäre „Never Mind The Bollocks“ von den Sex Pistols. Keine Platte habe ich in meinem Leben mehr gehört und noch immer dreht sie ihre Runden, wenn ich wieder ein paar mächtige Stromstösse brauche. In Krisenzeiten soll sich der Mensch ja auf die alten Werte und Traditionen besinnen, heisst es. Bei mir hiess dies, wieder der  Musik meiner Jugend zu frönen, als bei mir noch tausend Nieten auf der abgewetzten Lederjacke glänzten und die Haarstacheln mächtig in leuchtenden Farben gen Himmel ragten.

Einerseits die amerikanischen Helden von den Kennedys über Black Flag, Circle Jerks, Bad Brains zu den Weirdos. Und dann natürlich die englischen Bands meiner Generation, wie UK Subs, Discharge, Exploited, Blitz, GBH etc. Und ein Song wirkt bei mir auch nach beinahe 40 Jahren noch immer wahre Wunder. Da erinnere ich mich an die Pogoschlachten vor der Bühne, dem Krawall in den Strassen, dem „Fuck Off“ gegen die Spiesser und ihre völlig untolerierbare Politik. Da verspüre ich noch immer den Drang wie ein Irrer herumzuspringen und alles herum- und umzuschmeissen. Knappe 1 Minute 40 Sekunden der walisischen Punk Combo The Partisans mit dem Titel „No U-Turns“ aus dem Jahr 1982 reichen da schon völlig aus.

Die Jungens und Louise die phänomenale Bassistin (ich weiss es, ich habe sie live am Bass wirken gesehen damals), sind ja exakt gleich alt wie ich und das verbindet, da versteht man sich. Und dieser Song ist eine zornige Abrechnung und ein Schub an Energie, der für mich dieses Jahr wieder ganz besonders gewirkt hat! Plattennadel gesenkt, kurzes Knistern und ab dafür! Bemerkenswert ist, wie bei so vielen alten Punkknallern, dass die heute überhaupt nichts an Aktualität verloren haben. Rob, der Sänger der Partisans, muss heute nur „Maggie“ mit „Boris“ ersetzen, das ist alles. Für mich also 2020 der Song, der mich so richtig wieder auf Vordermann brachte und dazu keine zwei Minuten benötigt und keinerlei Extraschnickschnack! Einfach voll auf die 12 oder 2020 und zwar mitten rein!