Die Berge, sie klingen

Echo und Wiederholung – sie sind in vielen Musikgenres das Stilmittel schlechthin. Um der Faszination jener Elemente auf die Schliche zu kommen, klopfen wir bei Volksmusik und elektronischer Tanzmusik an. Daraus entstanden ist ein Gespräch über Ursprung, Archaik, den eigenen Körper und die Vermarktung von musikalischen Werken.

Autor:in:
Jan Rucki
Hinweise:

«Die Musik, die ich mache, gibt mir das Gefühl von Heimat». Diesen Satz könnten wohl zwei noch so verschiedene Zentralschweizer Musiker:innen unterschreiben – wenn auch aus divergenten Gründen. Ausgesprochen hat ihn Lukas Niederberger. Der Mann lebt in der Nidwaldner Berggemeinde Wiesenberg und ist Mitglied und Präsident des Jodlerklub Wiesenberg. Letzterer spielte schon Konzerte auf verschiedenen Kontinenten dieses Planeten.

«Für meine Musik hole ich die Inspiration aus der Natur, aus weiten Tälern, aus der Kraft, die uns diese Erde schenkt. Meine Musik erinnert mich an sie.» Chewlie, das ist Julia Häller, die in Luzern aufgewachsen ist. Mit ihrer experimentellen elektronischen Musik hat sie zwischen Luzern und Bern so einige Clubs und weitere spannende musikalische Settings begeistert.  

Vom Ursprung und Verdauungsprozess  

«Der Jodel wurde mir in die Wiege gelegt. Ich bin in einer Bauernfamilie aufgewachsen, der Gesang gehört bei uns zum Alltag», erzählt uns Niederberger im Gespräch. «Der 'Juiz', wie wir unseren Naturjodel nennen, hat eine ganz lange Vergangenheit. Schon vor hunderten von Jahren hat man sich auf der Alp durch das Tal mit lautstarken 'Juiz' zugerufen, miteinander kommuniziert.» Daraus sollen der heutige Naturjodel, die bunten Melodien entstanden sein. Inspiration für den Gesang bleibt bis heute die archaische Umgebung, die verwunschene Schroffheit der hohen Alpen, die liebevolle Süsse der Natur, die den Musiker umgibt.

Doch auch die in Bern lebende Julia Häller kann hier einhängen: «Wenn ich Musik produziere, sehe ich manchmal die hallenden Klänge, die sich scheinbar ewig durch ein Bergtal schlängeln, sich verlieren in der Schönheit der Natur.» Und das erkenne man auch in ihrer Musik wieder. «Für mich ist das ein poetisches Stilmittel. Die Natur spielt eine sehr grosse Rolle für mich. Ich ziehe viel an Energie und Emotionen aus ihr heraus. Es ist eine Art natürlicher Verdauungsprozess, der sich in meine Musik verwandelt.»

Improvisation und Struktur  

Während die Kompositionen von Julia Häller hörbar arrangiert anmuten, so wirken die Jauchzer vom Jodlerklub Wiesenberg bodenständiger, nahbarer und – ja – der Natur näher: «Ein 'Juiz' kommt häufig spontan. Er ist improvisiert. Er entstammt dem eigenen Torso als Resonanzkörper, quasi als direkte Reflexion des eigenen Umfelds. Aus einer Improvisation entstehen dann gemeinsam mit dem Jodlerklub nach und nach einzelne Teile eines Liedes, die sich aufbauen, abflachen und wiederholen. Das ist sehr individuell und unterschiedlich», so Niederberger. Und verständlich, wie wir finden.


Wer Chewlies Musik genau zuhört, mag auch in ihrer, im ersten Moment zugegeben etwas schwieriger zu entschlüsselnden Musik Muster und dynamische Eingaben der Natur erkennen. «Echos und Wiederholungen sind für mich sehr wichtig. Sie machen auch komplexere Musik und Klänge nahbarer und träumerischer. Ich werkle sehr gerne mit ihnen. Die Struktur dieser Wiederholungen und generell meiner Musik entsteht gerade dann, wenn ich an ihr arbeite. Aber auch bei mir ist die Struktur kein Konzept, nach dem ich von Anfang an arbeite.»

Ähnlich wie beim Jodel ist auch für Chewlie wichtig, dass die Abwechslung, das Spontane, in einem guten Verhältnis zum Geplanten, zur Wiederholung steht. «Ich brauche in gewisser Hinsicht den Rahmen der Wiederholung. Ansonsten würde ich mich in der Unendlichkeit der möglichen Spontanität auch gefangen fühlen», meint sie weiter. Niederberger fügt an: «Obwohl wir uns gerne frisch von der Leber Gefühle und Emotionen aus der Seele jodeln, ist für uns ist eine finale Komposition unserer 'Juizer' unabdingbar, damit wir sie als Chor singen können.»


Auch wenn Chewlies bassdominierte Musik noch so fern vom traditionsreichen Naturjodel des Jodlerklubs Wiesenberg zu scheinen mag – am Ende wiederholt sich bei beiden ein ähnlicher Prozess. Und es verbindet sie der gemeinsame Ursprung, in ihrem Fall die Berge. Man fühlt ihn in der süssen Schlichtheit des Jodels. Und man hört die Berge im verrauchten, dunklen Club der Schweizer Städte.  

Nicht zuletzt setzt Chewlie auch gerne mal mit ihrem Lied an, das vom traditionsreichen Schweizer Lied «S’Vreneli abem Guggisbärg» inspiriert ist. Und, um in Chewlies Manier zu schliessen: «Die Berge, sie schweigen» eben nicht.

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