Aktivismus durch Text und Bild

Wenn man den Begriff «Cartoons» hört, denkt man an lustige Bilderserien mit grösseren und kleineren Sprechblasen, welche jeweils mit mehr oder weniger tiefgründigen Texten gefüllt sind. Aber auch wenn eine leichte Gesellschaftskritik in den Geschichten mitschwingt, sind Cartoons meist für Kinder oder sogenannte «Nerds» gedacht, oder?

Autor:in:
Layla Hollenstein
Hinweise:

Das Cartoonmuseum Basel veranschaulicht derzeit mit seiner neuen Ausstellung, dass es durchaus auch anders geht. Jede Ausstellung im Cartoonmuseum wird einer Person gewidmet. Neben Grössen wie beispielsweise Loriot, werden aber auch der Masse weniger bekannte Künstler:innen gezeigt. In der aktuellen Ausstellung können die Besuchenden die Arbeit von Dominique Goblet verfolgen. Diese zeigt sehr deutlich, dass Cartoons und Comics nichts mit Kindlichkeit zu tun haben müssen. Im Gegenteil, Goblet setzt sich in ihren Zeichnungen mit Themen wie Sexualität und Traumata auseinander. Ihre Kunst ist durch und durch gesellschaftskritisch, feministisch und persönlich. Dabei lässt sie sich aber auch nicht davon abhalten viel Witz und Humor in die Bildgeschichten einzubringen und durch teilweise surreale Darstellungsweisen den ernsten Themen ihre Bedrohung zu nehmen.

Wie aber gelingt es ihr, die Ernsthaftigkeit ihrer Arbeit, in einem so spielerischen und kindlich konnotierten Medium zu bewahren?

Stumme Kommunikation

Dominique Goblets Arbeit zeichnet sich durch ihre gewaltige Bildsprache und ihre persönliche Auseinandersetzung mit den Themen aus. Das lässt sich besonders gut in ihrem Bilderband «Ostende» von 2021 erkennen. Er entstand während der Corona-Pandemie, als der normalerweise sehr beliebte Küstenort Ostende wie ausgestorben war. Goblet verbrachte dort einige Zeit mit Freunden und hielt die merkwürdige Ursprünglichkeit und Stille des verlassenen Badeortes fest, während sie sich gleichzeitig mit sich selbst auseinandersetzte. Goblet erzählte, wie sie sich in der Zeit kompletter Isolation auf die Suche nach ihrer neuen Feminität begab. Als Frau über 50 habe man ein anderes Körpergefühl als mit 20 und das müsse man zuerst mal verarbeiten. Da frau dann wahrscheinlich nicht mehr dem klassischen Bild von Feminität entspreche, müsse eine neue Definition gefunden werden. In ihrer Dualität von Gefahr und unglaublicher Schönheit habe die Natur Goblet dabei als Vorbild für den (weiblichen) Körper gedient. Als Ursprung des Themas habe eine ‘vintage’ Fotografie, auf welcher einige Frauen über 50 ihren BH in die Kamera halten und Lachen, gedient. Dieses Symbol der Befreiung findet man auch im Buch.

«Ostende» erzählt von einer Frau über 50, welche an dem Küstenort Ostende zu sich selbst zurückfindet. Als Abschluss ihrer Selbstfindung befreit sie sich von allem in Form ihres BH’s, welchen sie ins Meer wirft. Die Farbigkeit und die Darstellung des wilden Meeres verkörpern die Ambivalenz des Älterwerdens, das sich stets verändernde Körpergefühl und Selbstverständnis. Die Aussagekraft des Bandes wird jedoch anders als in Goblets anderen Arbeiten beinahe ganz ohne Sprache erzeugt. Dadurch erhalten die Bilder eine absurde Vagheit und Vieldeutigkeit. Die Figur der «Majorette», welche wie eine Erscheinung der Eigenermächtigung in verschiedenen Szenen auftaucht, unterstützt die traumähnliche Wirkung der Bilderreihe.

Dieser Eindruck wird verstärkt, wenn man sich bewusst macht, dass die Bilder des Buches nicht in chronologischer Reihenfolge zusammenpassen. Es scheint, als wäre Goblet in ihrem eigenen Findungsprozess hin und her gesprungen. Dadurch wird die Geschichte eine persönliche. Es handelt sich nicht um ein ausschliesslich erfundenes Produkt, sondern erzählt die Geschichte der Autorin selbst.

Kunst als Verarbeitungsmechanismus

Die persönliche Note ihrer Comics war auch das, was Dominique Goblet zu ihrer Bekanntheit verhalf. In ihrem ersten Buch «So tun als ob heisst Lügen» von 2007 verarbeitete sie ihr toxisches Verhältnis zu ihren Eltern und wie sich das auf die Beziehung zu ihrer eigenen Tochter auswirkte. Das Format gleicht eher einem herkömmlichen Comic, hat jedoch auch nicht viel mit den Kinderbüchern gemein. Die düsteren Farben und teilweise abstrakten Zeichnungen wirken schon beinahe gespenstisch. Und doch stehen auch hier wieder die Bilder symbolisch für die Bedeutung der Geschichte. Interessanterweise sind die unterschiedlichen Seiten in verschiedenen Stilen gemalt. Auch Abstraktion wird dabei mutig angewandt. Dadurch wird uns als Zuschauenden der wechselnde Standpunkt der Künstlerin selbst klar. Die wechselnden Stile verleihen der Geschichte ihre ganz eigene Lebendigkeit und lassen uns eine seltsame Empathie mit dem Erzählten entwickeln.

Ähnliche Elemente lässt sich auch in Dominique Goblets restlicher Arbeit erkennen. Für Goblet ist ihre Kunst ein Sprachrohr und ein verbindendes Element. Dadurch werden die Bildbänder zu ihrer eigenen Form des Aktivismus, wobei sie jedoch immer wieder betont, dass man nur gemeinsam Veränderungen erreichen kann.

Gemeinschaftswerk

Auch in ihrem Vorgehen findet sich das Element der Gemeinschaft wieder. Sie kollaboriert oft mit anderen Kunstschaffenden und hat beispielsweise 2019 den absurden Comic «L’Amour dominical» mit dem belgischen Künstler Dominique Théate hervorgebracht. Seit Jahren arbeitet Dominique Goblet ausserdem mit Kai Pfeiffer, einem Künstler und Autor aus Berlin, zusammen. Ihr gemeinsames Werk «Bei Gefallen auch mehr…» von 2019 ist der Höhepunkt der Ausstellung im Cartoonmuseum. Darin folgt man einer Frau, welche sich während ihrer Suche nach einem Partner immer mehr in der Welt des Onlinedatings verliert. In dieser Welt werden alle Männer in einem Garten versammelt, in welchem sie auf die Protagonistin warten. Die Männer sind dabei nach realen Dating-Profilen entworfen. Vorgestellt werden die Männer mit einem Bild, auf welchem sie weinen und einigen Ausschnitten aus den Beschreibungen in ihren Profilen. Dabei werden auch alle Rechtschreibfehler beibehalten, wodurch sich teilweise lustige neue oder erweiterte Bedeutungen ergeben.

Kai Pfeiffer diente in diesem und auch anderen Werken als deutscher Übersetzer. Da das Ursprungswerk auf Französisch geschrieben war, sei es manchmal richtig schwierig gewesen, die Humorfarbe und kleinen Bedeutungsverschiebungen der Texte bezibehalten.

Sprachlos

Aber auch ohne die Texte sind die Werke von Dominique Goblet unglaublich aussagekräftig. Die Wandlungsfähigkeit der Künstlerin hat mich wahnsinnig beeindruckt. Sie schreckt weder vor politischen noch vor persönlichen Themen zurück. Motive wie Sexualität, körperliche Beeinträchtigung und emotionale Gewalt werden ebenso behandelt, wie Lebensfreude, Natur und Schönheit. Auch wenn sie sich durch ihren Wortwitz und ihre Ausdrucksweise auszeichnet, zeigt sie doch auch sehr deutlich, dass es nicht immer Worte braucht, um sich zu verständigen und ein Gemeinschaftsgefühl zu schaffen. Ein Besuch lohnt sich auf jeden Fall.

Verlosung

Infobox

Die Ausstellung um Dominique Goblet ist bis zum 26.05.2024 im Cartoonmuseum zu sehen. Der Eintritt ist für Kinder bis 10 Jahre gratis, Erwachsene zahlen 12.- CHF.