Myanmar Diaries – ein anonymer Aufschrei

Vor mehr als drei Jahren putschte sich am 1. Februar 2021 das Militär in Myanmar erneut an die Macht. Eine brutale Militärdiktatur formte sich, in der jede Form von Kritik gegen das Regime brutal niedergeschlagen wurde. Ein anonymes Filmkollektiv entscheidet sich in dieser Zeit, Kurzfilme zu drehen, um den Schreck festzuhalten und zu verbreiten. Entstanden ist der Film «Myanmar Diaries». Ein Interview mit Co-Produzentin Corinne van Egeraat.

Autor:in:
Juliette Dunaigre
Titelbild:
z.V.g.
Hinweise:

In der Woche zwischen dem 4. und 10. April 2024 findet das Human Rights Film Festival in Zürich statt. Ein Schwerpunkt im Programm ist Myanmar, wo seit dem Militärputsch am 1. Februar 2021 ein Bürgerkrieg herrscht. Die Lage der Menschenrechte, der Menschenwürde und des Traumas sind erschreckend. Bürger:innen, insbesondere Aktivist:innen und Kreativschaffende in Myanmar stehen vor tödlicher Gefahr. Anfang dieses Jahres wurde Shin Daewe, eine burmesische Dokumentarfilmemacherin, zu lebenslanger Haft verurteilt.

Ein anonymes Filmkollektiv aus Myanmar sammelt in einer hybriden Form Artefakte und Material aus dem Bürger:innenkrieg – selber in der Öffentlichkeit einen Film zu drehen wäre tödlich riskant. Wir reden mit Corinne van Egeraat, die diesen Film Co-produziert hat, über die Geschehnisse und das dabei entstandene Filmprojekt ‘Mynamar Diaries’ (2022).  

frachtwerk: Wovon handelt «Myanmar Diaries»?

Corinne: Es handelt sich um einen poetischen Hybridfilm (Dokumentation/Fiktion) über das Leiden der Menschen in Myanmar nach dem Militärputsch. Am Tag des Putsches, dem 1. Februar 2021, schloss sich eine Gruppe von Filmemachern zusammen und entschied, Kurzfilme über diesen Moment in der Zeit zu machen - sie konnten nicht glauben, was passierte - wie die Geschichte sich in dem Land wiederholte, das gerade eine hoffnungsvolle Übergangsphase zur Demokratie durchgemacht hatte.

Redaktionelle Anmerkung: Myanmar durchlebte seit den 60er Jahren verschiedene, brutale Militärdiktaturen. 2011 nahm die Situation eine Wende, indem die Macht des Militärs zurückgedrängt wurde und Demokratisierungsprozesse eingeleitet wurden.  

frachtwerk: Ihr seid ein anonymes Filmkollektiv,das den Namen «Myanmar Film Collective» trägt. Wie ist es entstanden?

Corinne: Petr Lom und ich sind ein Filmemacher-Paar. Wir waren von 2013 bis 2017 in Myanmar ansässig, um unseren Dokumentarfilm «Burma Storybook» zu drehen und jungen Filmemacher:innen «Human Rights Filmmaking» beizubringen. So lernten wir vor Ort viele junge Künstler:innen und Filmschaffende kennen. Nach dem Putsch der Militärjunta hat eine Gruppe von Filmschaffenden Kontakt zu uns aufgenommen. Sie hatten die Idee, verschiedene Kurzfilme zu drehen, um daraus eine Kurzfilm-Omnibus zu machen. Also schlug ich vor, diesen zu produzieren. Als wir das erste Material erhielten, erkannten wir das Potenzial für eine grössere Produktion. Wir stimmten zu, als anonymes Kollektiv zu arbeiten und nannten uns das «Myanmar Film Collective».

frachtwerk: Wie kann man sich eine solche Kollaboration vorstellen?

Corinne: Wir hatten eine Art digitale Brücke nach Myanmar - die Filmemacher:innen arbeiteten vollständig anonym und inszenierten aus Sicherheitsgründen grösstenteils wahre Geschichten innerhalb ihrer Häuser. Sie sammelten auch Material aus dem Bürgerjournalismus und Archivvideos aus sozialen Medien, um den Schrecken zu zeigen, der auf den Strassen stattfand. Wir entschieden gemeinsam, uns hauptsächlich auf Momente zu konzentrieren, in denen Menschen aus der Sicherheit ihrer Häuser geholt wurden. Einige Filmemacher:innen drehten reine Dokumentationen, andere verwendeten Hybridstile. Wir sammelten alle Materialien online und bearbeiteten und fertigten den endgültigen Film in den Niederlanden mit einer Gruppe von Personen, mit denen wir regelmässig zusammenarbeiten. Der Film wurde von einem öffentlichen Sender und dem Niederländischen Filmfonds unterstützt, sodass wir den Film in hoher Qualität fertigstellen konnten.

frachtwerk: Wie ist die Situation momentan in Myanmar?

Corinne: Die kurze Antwort: Das Land bleibt immer noch vergessen. Es gibt einige Sanktionen gegen das Militärregime. Aber das Land bleibt eines der unterdrückendsten Regime der Welt. Die neuesten Nachrichten besagen, dass das Militär eine landesweite Wehrpflicht eingeführt hat - aus Verzweiflung, da sie an Kontrolle über das Territorium verlieren. Einige Leute sagen, sie hätten fast die Hälfte des Landes nicht unter Kontrolle - und so sind jetzt viele junge Menschen entweder untergetaucht oder fliehen aus dem Land.

frachtwerk: Aber der Bürger:innen-Aktivismus ist ziemlich gross oder?

Corinne: Es gibt eine grosse, organisierte Widerstandsbewegung, die äusserst mutig ist und auch erfolgreich in ihrem Kampf gegen die Junta, jedoch zahlen sie einen hohen Preis. Die Menschen in Myanmar sind sehr widerstandsfähig und mutig - und viele kulturelle Gruppen haben sich in der Nationalen Einheitsregierung (NUG) vereint.  

frachtwerk: Weshalb gibt es wenig mediale Aufmerksamkeit über Myanmar?

Corinne: Es sind mehrere Gründe. Das Land verfügt über etwas Öl, aber nicht genug, um einen wirklichen geopolitischen Wettlauf um seine Ressourcen zu rechtfertigen. Dazu kommt, dass das internationale Ansehen Myanmars leider aufgrund der Reaktion von Aung San Suu Kyi auf das, was das Militär den Rohingya angetan hat, stark gesunken ist. Das hat dazu geführt, dass das gesamte Land in Mitleidenschaft gezogen wurde. Und dann gibt es vielleicht auch einfach eine Wendung nach Innen seit Covid – aber das ist auch ein globales Phänomen – weniger ausländische Journalist:innen berichten über Probleme auf der ganzen Welt. Nehmen Sie das Beispiel Darfur: Wie viel Aufmerksamkeit schenkt die Welt dieser Region? Fast keine.

Diese Frage wirft immer wieder ihre Schatten auf. Sie fordert uns heraus, nicht nur zu fragen, warum bestimmte Regionen ständig im Fokus der Aufmerksamkeit stehen, sondern auch zu untersuchen, wie unterschiedlichste Machtstrukturen diese Dynamik beeinflussen. Der Widerstand in Myanmar, wie von Corinne beschrieben, ist äusserst ausgeprägt und steht im Kontrast zur relativen Stille und Passivität der internationalen Gemeinschaft.

Verlosung

Infobox

Vom 4. bis 10. April findet das Menschenrechtsfilmfestival in Zürich statt, wo "Myanmar Diaries" am 6. und 7. April gezeigt wird.

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