Vetternwirtschaft – oder das Arbeiten im Musikkuchen

«Vetternwirtschaft, die: Bevorzugung von Verwandten und Freunden bei der Besetzung von Stellen, bei der Vergabe von Aufträgen o. Ä. ohne Rücksicht auf die fachliche Qualifikation.». So steht es im Duden. Gefühlt ist kein Business frei von Vetternwirtschaft. Auch nicht das Musikbusiness. Wir haben uns schlau gemacht, inwiefern die Schweizer Musiklandschaft von Vetternwirtschaft bestimmt wird. Wir haben mit Kilian Mutter gesprochen - dem Mitinhaber der Künstler:innen-Agentur Orange Peel Agency.

Autor:in:
Desirée Oberlin
Titelbild:
Jessica Christ
Hinweise:

Wenn die begehrte Stelle in der Firma an die Tochter oder die Freundin des Chefs geht, ohne andere Kandidat:innen zu berücksichtigen, ist das ein klassischer Fall von Vetternwirtschaft. Im Musikbusiness sieht es ähnlich aus. Nur geht es hier nicht um Stellen, sondern um Auftritte, Bookings und Interviews. Kilian Mutter, Mitinhaber der Künstler:innen-Agentur Orange Peel Agency, würde das, was in der Schweiz abgeht aber nicht unbedingt als Vetternwirtschaft bezeichnen. «Es ist eher ein Kuchen», sagt er und lacht. «Dennoch gibt es natürlich Menschen, die an verschiedenen Orten ihre Finger im Spiel haben. Aber eher, um Dinge anzureissen und nicht per se, um sie an sich zu reissen.». Davon gäbe es aber nur wenige, sagt Kilian. Er ergänzt, dass es sich halt einfach so ergibt, dass es immer wieder die gleichen Personen sind, auf die man im Bereich des Musikbusiness trifft. «Es gibt wenige, die lang dranbleiben und für wenig Geld in diesem Bereich arbeiten.».  

Ohne Netzwerk lebt die Schweizer Musiklandschaft nicht. Wie dieser Kuchen entsteht? Spielt Sympathie eine grosse Rolle? Könnte man jedenfalls denken. Kilian meint aber, dass Sympathie nicht unbedingt einen grossen Einfluss hat. «Man möchte natürlich mit den angenehmen Menschen zusammenarbeiten, damit man sich nicht – auf gut Deutsch gesagt – mit Idiot:innen rumschlagen muss. Manchmal muss man seine Sympathien aber doch hintenanstellen, weil man im Interesse der Künstler:innen handelt.» Es gibt aber auch Situationen in denen man als Agentur intervenieren muss. «Wenn das Verhalten von Personen, sei es politisch oder auf anderen Ebenen, nicht vertretbar ist, kommen Kollaborationen nicht zu Stande – egal wie viel Geld fliessen würde.» Das müsse man mit den Künstler:innen absprechen und davon abraten.  

Kleine Schweiz – kleiner Kuchen?

Das ist jedoch selten der Fall, denn die Schweizer Musiklandschaft ist vor allem im Vergleich zu unseren Europäischen Nachbaren klein. Wie halt die Schweiz ist. Dieser Fakt führt uns auch gleich zu den Vorteilen des Kuchens. Durch die überschaubare Grösse sei man in regelmässigem Austausch, verrät Kilian. So könne man gemeinsam wachsen. «Als Beispiel: Ein:e Veranstalter:in arbeitet für ein kleineres und ein grösseres Festival. Zuerst vermittelt man die Band XY an das kleinere Festival. Dadurch kommt die Band später vielleicht einfacher ins Line-Up des grösseren Festivals.»

Fragt man Kilian nach den Kontras, ist die Antwort einfach: «Eigentlich sind es die gleichen Punkte wie bei den Vorteilen.» Man merke, dass hinter Firmen, Labels, etc. oftmals dieselben Personen stecken.  Dementsprechend sei man darauf angewiesen, gute Beziehungen zu diesen Menschen zu pflegen, um erfolgreich zu arbeiten.  

Ein grosses Beispiel für diese Monopolisierung in der Musikbranche stellen grosse Live-Firmen wie Live Nation dar. Das sind Firmen, die über Landesgrenzen hinaus Angestellte und Firmen aufkaufen auch in der Schweiz. Hierbei könne Diversität verloren gehen, sagt Kilian im Gespräch. Es entstehe eine Tendenz, nur noch grosse Acts zu buchen, die das Geld reinspielen. Und genau deswegen würden auch immer wieder dieselben Künstler:innen gebucht werden. Getreu dem Motto: «Never change a winning team».  

Einfach mal machen!

Als Booker:in oder Künstler:in in dieser Welt Fuss zu fassen ist nicht gerade einfach. Es ist aber durchaus machbar. Geht das auch ohne Netzwerk? «Es wird einfach alles ein bisschen anstrengender und schwieriger», sagt Kilian. Früher oder später komme man nicht drum herum, sich ein Netzwerk aufzubauen.

Das funktioniere am einfachsten, wenn man «einfach mal macht». Klingt simpel, kann aber schwer sein. Helfen können Workshops wie von Helvetiarockt oder dem Musikbüro Luzern, sagt Kilian. «Ein anderer Weg ist es, sich einem Kollektiv anzuschliessen, bei dem die Barrieren tief sind, um mitzumachen oder auch einfach ein Praktikum zu machen, um zu sehen, ob das Musikbusiness dein Ding ist oder nicht.»

«Unter dem Strich ist das Musikbusiness ein Netzwerk-Business. Wenn man sich ein Netzwerk aufbauen kann, bekommt man auch richtig Bock darauf, weil man die Menschen kennt, mit denen man zusammenarbeitet. Da beginnt ja auch schon wieder die Vetternwirtschaft.» sagt Kilian im Gespräch. Es sei gut, dass es so einen Kuchen gibt, meint er. Denn es gäbe auch immer die Personen, die grössere, festere Strukturen aufbrechen wollen und versuchen würden, die Vetternwirtschaften die schon alteingesessenen sind aufzurühren und zu durchbrechen.

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