Verrenkte Gehirne und verdrehte Köpfe: Bad Bonn Kilbi 2024

Trotz schaurigen Wetters lässt die Bad Bonn Kilbi wohl niemanden kalt. Ein Querschnitt durch einen Abend voller Schnelllebigkeit, Herausforderung und Erfüllung – und ein Festival, das einlädt, über Musik zu diskutieren wie kein anderes.

Autor:in:
Jan Rucki

Der Schlamm Bad Bonns ist bereits wieder eingetrocknet, die Wiesen ziemlich mitgenommen, als wir am Samstagnachmittag beim diesjährigen Kilbibesuch das Gelände des Musikmekkas des ersten Juni-Wochenendes betreten. Am Mississippi-like anmutenden Schiffenensee wird heuer nicht etwa in Musik und Wasser, sondern ausschliesslich in ersterem Element gebadet. Die Temperaturenlassen es kaum zu, Gelüste, das modrige Gewässer des romantischen Sees, an dem das Festival jährlich stattfindet, zu bezirzen.

Musikcocktail am Strand

Viel mehr wenden gegen halb fünf Uhr abends etwa zweihundert Menschen dem See den Rücken zu und schenken ihre volle Aufmerksamkeit den Künstler:innen des Kollektivs von Blanco Teta. Mit viel Schrei, luftigen Beats,Pop-Verrenkungen und Baby-Metal-Musik, entführen sie uns von missbräuchlichbehandelten Kontrabässen über Rihanna bis hin zu Skrillex. Spätestens bei der amerikanischen Dubstep-Ikone scherbeln die Zuhörenden den noch feuchten Sand am Mini-Strand der Seebühne zu einer gut planierten Fläche platt.

Die – wie sie sich selbst nennen – Argentinischen Superfeminist:innenund Art-Noise-Punker:innen spielten am Vorabend bereits auf der grossen A-Stageund waren da – gemäss Erzählungen – sehr stark.

Britischer Rausch und pakistanische Virtuosität

Im sofortigen Anschluss starten wir zurück auf den grossen Bühnen der Kilbi mit High Vis aus London in einen Konzertabend voller Gegensätze. Mit einer energiegeladenen Show begrüssen uns die fünf Briten miteiner sehr ernst gemeinten Heiterkeit am letzten der drei Tagen der Kilbi. Mehr Punk als Post schreiben die Veranstalter über die Band auf dem Programm. Das darf man bestätigen. Geradlinig, ziemlich scharf geschnitten und mit stetssympathisch britischer Unterstreichung vergehen 45 Minuten schneller als sonst oftmals.

Auf der grossen A-Stage sitzen zwischenzeitlich bereits drei Herren auf einem Podest auf dem Boden, in jedem Schoss ein Saiteninstrument,die sie später noch beschreiben werden. In der Mitte der dreien sitzt Ustad Noor Bakhsh, der aus dem Örtchen Belutschistan nach Düdingen gereist ist. Aufbestrickende, feine Art und Weise zieht er sein Publikum in den Bann derminimalistischen Klänge seines virtuosen Spiels auf seinem Balshi Benju.

Leider fiel die klassische Mische vom Kilbi-Sound jener Showetwas zur Last. Es war kaum möglich, die interessanten Ansagen von Ustad NoorBakhsh zwischen den Stücken zu verstehen, die von seinem Compagnon auf Englischübersetzt wurden. 

Hüpfend und laut in die Nacht

Im Anschluss geht es nochmals deutlich lauter in Richtung Dunkelheit. Sextile, Yeule, Chelsea Wolf und Meth Math legten alle brillante Shows hin.Während Sextile irgendwas zwischen in Acid getauchtem Boy Harsher-Liquid und Hüpfkonzert produzieren (dies aber wirklich sehr gut und vorallem cool war),lassen Meth Math sechs Stunden später jedes Hyperpop-Herz höherschlagen.

Dicht an dicht drängen sich die Fans am Bühnenrand, um mitschier zuckenden Körperbewegungen der hochkonzentrierten Pop-Mische zu widmen.Eine solide Show eines Sub-Genres, das bereits mehr in der Mitte derGesellschaft angekommen ist, als wohl einigen ihrer Fans lieb ist. Nach 45Minuten jagte den von der Bühne tretenden Künstler:innen tosender Applaus nach.

Yeule überzeugt mit aufwühlender Performance

Grösste Gegensätze des Samstags an der Kibli stellten wohl die Shows von Good Sad Happy Bad und Dreamcrusher dar. Während der durchaus gutgemeinte und gemachte Indie- und Synth-Pop von Good Sad Happy Bad eher einschläfernd und nicht wirklich optimal platziert wurde, haben spätestens die Signale von Dreamcrusher einige Stunden später eine gute Portion ausgemergelter Festivalbesucher:innen und auch einige der hartgesottensten unter allen Lärm-Musik-Fans ins Camping-Bett gejagt.

Klares Highlight des Abends ist die Performance von Yeule. In einem verzauberten (und verzaubernden) weissen Kostüm steht die Person aus Singapur mittig auf der Bühne, im rechten Hintergrund eine Person an den Drums. Im Internet superbekannt, zieht sie auf der Bühne in Bad Bonn zwar nicht ganz eine solch eng geflochtene Masse vor die grosse Bühne, doch ihre Performance lässt Tränen fliessen und Hühnerhaut entstehen.

Poppy, glitchy, noisy und auch metallern präsentiert uns Yeule eine Performance, die sowohl musikalisch als auch ausstrahlungstechnischunter die Haut geht. Verschiedene Momente kristallklarer Surrealität tun sich auf, die entstandene Energie scheint sich tief in die Lungen einatmen zu lassen– und gut zu tun. Der mächtige und präzise Klang des Schlagzeugs unterstütztdie Performance (und das nicht komplett makellose Gitarrenspiel) der Frontperson und lässt uns voller Erfüllung und Melancholie zittern.

Insgesamt hat auch an jenem Samstag das Team der Kilbi rundum Kopf «Duex» wieder bewiesen, mit ihrer Programmation herauszufordern – liess aber dennoch mehr Luft zum Atmen als in vergangenen Jahren. Spätestens zu denletzten Tracks von Evergreen DJ Fett wurde klar: Auch zu zeitloseren 80ies-Hits können und wollen Kilbi-Gäste gerne shaken. Und am Ende solch abenteuerlicher Stunden eben grade vielleicht am liebsten.

Verlosung

Infobox

Nächstes Jahr findet die Kilbi erst im September statt. Der Vorverkauf startet dennoch ab März. Haltet Euch also bereit im 2025!

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