Die Sonne spiegelt sich auf der Kopfhaut des offensichtlich rabiaten Mannes, der in der Hand ein Mikrofon hält und damit und einer Horde glühender Instrumentalisten aus der idyllischen Alpenwiese eine Trabrennbahn gestaltet. Beim charismatischen Mitteilungsbedürftigen handelt es sich nicht etwa um einen Rennbahnleiter, sondern um den Sänger der holländischen Formation Iguana Death Cult, die den drittletzten Festivaltag des doppelwöchigen Rockglanzpunks des Jahres in den Walliser Alpen in der sengenden Mittagshitze eröffnet.
Wenige Minuten dieses hochenergetischen Garagenrocks, der fuzzigen Gitarrenriffs und der charmant einnehmenden Zwischenansagen Jeroen Reeks und seinen vier Rotterdamer Bandmitglieder reichen, bis alle der Hitze zuwider aufgedreht und von der Darbietung hingerissen sind. Was folgt ist eine technisch wie auch ästhetisch optimale Show, die vor Ehrlichkeit klirrt.
Noch mehr «garagener» wird es, als eine knappe Stunde später die Kanadier der Dead Ghosts auf der Naturbühne des Rocklettes stehen und mit ihrem Auftritt dem Publikum mit ihrer psychedelischen Aura den ersten schier schon woodstock-esken Moment bescheren. Nach dem analeptischen Set der Holländer haben die Dead Ghosts zwar einen schweren Stand, den Energiehaushalt des Publikums in der stechenden Sonne weiter hochzuhalten. Dennoch: Das Publikum ist begeistert, wohl zurecht, und spätestens beim Track «Roky Said» wurde auch der letzten Person auf dem Gelände klar, dass jetzt die Tanzstiefel montiert werden sollten und welch eine starke Band gerade die eigenen Ohren massiert.
Das dritte Kapitel des Tages wird von Jojo Orme und ihren Heartworms geschrieben. Eine gothische Atmosphäre legt sich allmählich über den Col du Lein, wo das letzte Wochenende des Rocklettes über die Bühne geht, und das Publikum lenkt ein. Eine ordentliche Ladung Post-Punk erwartet Fans und Gwunderige, die eine leicht entzündliche Kreuzung aus brachialer Überzeugung von der Musik und der verzaubernden Performance Ormes erleben. Schwarz gekleidet, auf magische Art ernst und doch mit der nötigen Heiterkeit, verleiht der Show ihre vollste Wonne. Es wird elektronischer, sehr präzise und kurzweilig – ein gekränzter Abschluss des Rocklette-Nachmittags. Leider bleibt aber Jojo Orme die einzige Finta-Person auf dem Line-Up des Tages.
Black Willows heissen uns am Samstag in ebengleicher Mittagshitze auf ihre eigene Art und Weise auf dem Pass willkommen, der Martigny mit dem Val de Bagnes verbindet. Das Hören des Albums im Vorfeld liess in Erwartung stellen, dass sich die Klänge der Lausanner tief ins Knochenmark reinfressen. Was das Publikum erwartet, ist eine bisher am Festivalwochenende ungesehene Wucht. Hätte Jupiter anderes Wetter geschickt, hätte sich wohl manch eine*r vor Furcht verzogen – wer die Augen an jenem Samstagnachmittag geschlossen hat, sieht vor sich die Lerchen des Col du Leins, eingewickelt in dicken Nebel, der sich um Wald und Musik windet.
Sonnig und infernalisch heiss wird es, wenn die Schwedinnen von Maidavale als zweite Band des Tages die Passhöhe erreichen und ihr Konzert zum Besten geben, das punkto Coolness beim Rest des Line-Ups im Gegensatz nur knapp am Horizont noch sichtbar bleibt. Die fünf Frauen entsprechen genau dem, was das Rocklette zu bieten verspricht; Down-To-Earth-Charakteren, die authentische Lebensenergie versprühen und ein technisch von hoher Qualität gespieltes Set traktieren. Coolness hinter den Drums, Schärfe in den Gitarrenriffs, Wucht am Bass und Energie aus Stimme und Synthesizer – das Publikum goutiert die Offerte mit tosendem Applaus und einem regelrechten Run auf den Merchstand.
Etwas schade, dass der Rocklette-Samstag mit mehr Cringe als Coolness endet. Heavy-Rock der Kult-Band Green Lung aus Englands Hauptstadt von ebenfalls ausgemacht hoher Qualität zieht sein Publikum in den Bann. Präsentiert wird ein langes Rock-Set, das zwar musikalisch stimmt, performativ aus unserer Sicht aber das Festival nicht auf den Nerv trifft. Wilde Moshpits von tiefer Qualität, viel Männlichkeit auf Händen getragen und Handgesten in Richtung Band, die eher an ein zweitrangiges Agglomerationsfest als ein so gut kuratiertes Musikgathering wie das Palp erinnert. Dennoch: Die grosse Masse ist zufrieden und freut sich nach gewohnt rocklett’scher ekstatischer Manier wieder in den Schatten zu sitzen und das letzte Bier zu schlürfen.
Die zwei Tage des Rocklettes 2025 sind ein voller Erfolg und inspirieren. Ein Festival, das für die Gesellschaft zweifelslos heilsam zu wirken scheint, denn es steht ein für Bedachtheit, Freiheit, Rücksicht und Gemeinschaftsgefühl wie es ihm kaum ein anderes so ehrlich nachmacht – ganz ohne Regeln, aber mit Menschenverstand und Klasse – im Publikum wie auf der Bühne.