«Schützen wir die künstlerische, nicht die künstliche Intelligenz.» Mit dieser klaren Botschaft richtet sich der Verband Deutscher Sprecher:innen an die Öffentlichkeit – und findet damit breite Resonanz. Die Kampagne setzt ein deutliches Zeichen gegen den Einsatz künstlicher Intelligenz in der Synchronbranche. Dabei geht es um weit mehr als um die Stimmen. Es geht um kulturelle Vielfalt, emotionale Tiefe – und den Erhalt künstlerischer Berufe.
Seit Jahren diskutieren Tech-Firmen und Produzenten über die Möglichkeit, ganze Serien und Filme mithilfe von KI-generierten Stimmen zu synchronisieren. Was dabei als Fortschritt verkauft wird, ist vor allem eines: eine ökonomische Entscheidung. Es soll schneller gehen, billiger werden – auf Kosten der Qualität.
Zwar wurden solche KI-Synchronisationen bereits getestet – der Film Black Dog oder die Serie Murderesses etwa, – doch die Ergebnisse sprechen für sich: schlechte Qualität, Zuschauerproteste, Rückzug aus dem Programm. Im Interview mit frachtwerk sagt Ranja Bonalana vom Verband Deutscher Sprecher:innen: «Glücklicherweise wurde das bisher noch nicht erfolgreich eingesetzt.» Doch das drohende Szenario bleibt bestehen.
Die Kampagne des VDS trifft einen Nerv. Mit über 14 Millionen Aufrufen in den sozialen Medien, Berichterstattung in der Presse und Unterstützung durch Kinos zeigt sich: Die Öffentlichkeit ist sensibel für das Thema. «Unser Plan ist aufgegangen», so Bonalana. «Die Menschen beginnen zu verstehen, was sie im Begriff sind zu verlieren.»
Bekannte Stimmen sagen in einer Videobotschaft «Nein» zu einer Welt, in der künstlerischer Ausdruck von einer gefühllosen Maschine ersetzt und in den Schatten gestellt werden soll.
Eine KI kann technisch gesehen einiges an Arbeit ersetzen. Es gibt aber wesentliche Punkte, die für eine KI unmöglich sind. Und genau diese Punkte sind der Kernpunkt der Arbeit von Synchronsprecher:innen. «Authentizität und Empathie – das kann KI nicht», betont Ranja Bonalana. «Das sind fest verankerte Fähigkeiten, die uns zu sozialen Wesen machen und die Basis für ein gesundes gesellschaftliches Miteinander sind. Menschen sind zu echten Emotionen fähig und äusserst anpassungsfähig. Der KI fehlt jedes Bewusstsein für soziale, emotionale oder gesellschaftliche Faktoren, sie kann Emotionen nicht fühlen, sie weiss oder versteht nicht einmal, was sie sagt. Sie ist ein Algorithmus, der mit menschlichen Werken gefüttert wurde und lediglich bereits Existierendes neu interpretiert.»
Ein wichtiger Punkt. Viele Menschen kommunizieren mit ChatGPT, als ob eine echte Person dahinterstünde. Ein Irrtum.
Dieser führt nicht nur zu einem Verlust an künstlerischer Qualität. Sie birgt auch gesellschaftliche Risiken: «Wenn wir uns zu sehr an künstliche Stimmen gewöhnen, verlernen wir vielleicht sogar, einander empathisch zu verstehen», sagt Ranja Bonalana. «Es gibt generell ein hohes Missbrauchspotential durch Deepfakes.»
Was können wir als Endkonsument:innen oder Filmliebhaber:innen tun, um diese Entwicklung einzudämmen? Die Antwort ist klar: Haltung zeigen. Der Verband ruft dazu auf, die Petition unter openpetition.de/KunstVorKI zu unterschreiben und KI-generierte Inhalte nicht einfach hinzunehmen. Man kann sich bei Verleihern, Verlagen, Labeln etc. beschweren und seinen Unmut über KI-generierte Inhalten kundtun. Wir können Sender, Streamingdienste, Publisher etc. um Stellungnahmen bitten, warum sie auf KI-Inhalte setzen. «Im besten Fall werden solche Inhalte boykottiert.» Das Publikum hat Macht. «Ein grosser Anime-Anbieter hat nach Protesten erklärt, künftig auf KI in kreativen Prozessen zu verzichten.»
In der Kampagne «Kunst vor KI» gehe es übrigens nicht ausschliesslich ums Thema Synchronsprechen, erklärt Ranja Bonalana. «Mit der Kampagne wollen wir auf die Bedrohung aller Kunstformen durch KI aufmerksam machen. Zusammen mit anderen Küntler:innen aus ganz Europa- und sogar weltweit, klären wir über Missstände auf. Mit Hilfe der Medien und Social Media informieren wir in Videos, Interviews und Beiträgen das Publikum. Und wir planen weitere Aktionen, um den Druck auf die Politik zu erhöhen.»
Auch wenn die KI nicht komplett übernimmt, werden in den nächsten Jahren bereits erhebliche Einnahmeverluste prophezeit. Durch diese Einnahmeverluste sind Arbeitsplätze, kreative Expertise und der Zusammenbruch eines wesentlichen Wirtschaftszweiges zu befürchten. Der VDS macht deutlich: «Unsere Forderungen haben nichts mit Technologie- oder Fortschrittsfeindlichkeit zu tun. Bei allen Chancen, die der Einsatz künstlicher Intelligenz birgt, müssen aber auch die Missstände und Risiken, insbesondere beim Einsatz generativer KI, klar benannt und eingedämmt werden. Wir wollen die Technologie nicht verteufeln, oder gar verbieten, wir haben nur ein Problem damit, wie mit unseren Daten und Werken umgegangen wird. Wir fordern faire Spielregeln und transparente Bedingungen für alle. KI-Unternehmen müssen verpflichtet werden, rechtliche Rahmenbedingungen einzuhalten. Wir fordern keine Nutzung unserer Stimmen in irgendeiner Form ohne ausdrückliches Einverständnis, eine angemessene Vergütung für unsere Arbeit (inkl. für das Training von KI-Modellen) und Transparenz durch eine Kennzeichnungspflicht.»
Der Aufruf «Kunst vor KI» ist deshalb nicht nur ein Plädoyer für die Synchronbranche. Es ist ein Appell an die Gesellschaft, künstlerische Ausdrucksformen nicht einer gefühllosen Effizienzlogik zu opfern – sondern sie als das zu schützen, was sie sind: menschlich, unersetzlich, wertvoll.
Initiator der Videobotschaft ist der Verband Deutscher Sprecher:innen e.V. (VDS), seit 1997 die von Sprecher:innen geführte Berufsvertretung für alle in Deutschland professionell tätigen freien Sprecher:innen im Werbe-, Synchron- oder Off-Bereich. Ziel des Verbandes ist es, sich für die Wahrung von Urheber-, Leistungsschutz- und Persönlichkeitsrechten sowie für angemessene Vergütungen einzusetzen. Der Verband ist Gründungsmitglied im Dachverband United Voice Artists (UVA), der sich auf internationaler Ebene für die Wahrung und Regulierung der Rechte von Sprecher:innen im Bereich KI und Stimmsynthetisierung einsetzt.