
Spotify sagt mir, was ich hören will. Netflix weiss, was ich schauen soll. Instagram zeigt mir eine Bubble, die meine Wertvorstellungen untermauert. Auf Tik Tok sehe ich entweder genau die Personen, die ich mag, oder die, die mich am meisten aufregen. Denn genau bei Letzteren bleibe ich oft genau so lange hängen. Traurig eigentlich, aber manchmal suche ich was, das mich aufregt. Dann scrolle ich minutenlang durch die Kommentarspalten und lese die vielen Hatekommentare. Ich selbst schreibe keine, weil ich anständig bin. Aber insgeheim bin ich enttäuscht, wenn ich keine lesen kann. Schliesslich ist das Unterhaltung pur. Der Algorithmus denkt sich: Oh, sie ist ja wirklich Fan von dieser jungen Dame, die die ganze Zeit auf einem Stück Steak herumkaut im Video und nicht viel sagt.
Es ist ein ständiges Zwiegespräch zwischen mir und einem System, das behauptet, mich besser zu kennen, als ich mich selbst kenne. Und das Schlimmste: Manchmal glaube ich es ihm. Ich vermenschliche ihn gar manchmal und denke mir beim Scrollen auf TikTok: «Eigentlich möchte ich genau dieses Video dieser Frau sehen, die ASMR macht und extra laut Ramen isst, aber ich mach's nicht, sonst findest du mich komisch.»
Ich höre einen traurigen Song. Sofort serviert mir Spotify eine ganze Playlist mit dem Titel «Melancholie am Sonntag». Netflix bemerkt, dass ich eine Doku über Serienmörder gesehen habe, und denkt: «Perfekt, sie steht offenbar auf Gewalt!» Zwei Tage später muss ich recht weit scrollen, bis mir auf Netflix was vorgeschlagen wird, auf dessen Cover mir keine Axt entgegenblickt.
Dieses Gespräch mit dem Algorithmus ist trügerisch höflich. Er hört zu, nickt digital, speichert alles – und antwortet in Form von Empfehlungen. Aber Zuhören und Verstehen sind nicht dasselbe. Wenn ich aus Langeweile kurz auf ein Katzenvideo klicke, glaubt Instagram, mein Lebensinhalt sei «Flausch». Und plötzlich befinde ich mich in einer Endlosschleife aus Miezen, die Klavier spielen. Ich hasse mein Leben.
Dabei wollte ich doch nur kurz lachen.
Vielleicht ist das das eigentliche Missverständnis: Ich rede mit meinem Algorithmus in Momentaufnahmen, aber er versteht alles als Identität. Jeder Klick, jedes Scrollen, jedes Zögern wird zu einer Meinung über mich. Und er baut daraus eine Welt, in der ich mich immer weiter in einen Tunnel hineinbewege – und immer weniger Neues entdecke. Spreche ich mit Freund:innen über Themen auf Social Media, kann ich teilweise nicht glauben, dass sie den aktuellen Skandal von Georgia auf Tik Tok nicht mitbekommen haben oder die neue Schweizer Influencerin Ladyeve nicht kennen. Dabei sehen deren Bubbles einfach nur komplett anders aus. Es ist, als würde sich jede Person freiwillig in eine comfort-zone-Mauer einmauern lassen.
Ist das Gespräch mit dem Algorithmus wirklich ein Gespräch? Oder eher Manipulation? Er stellt keine Fragen, er gibt Antworten. Wie kann ich rebellieren? Soll ich bewusst Musik hören, die ich nicht mag, nur um mir selbst zu beweisen, dass ich noch Herrin meiner Sinne bin? Dass ich selbstbestimmt bin? Das wäre genauso blöd, wie sich dem Algorithmus hinzugeben. Nur meine innere Rebellin denkt sich manchmal: «Ha! Da klicke ich jetzt extra nicht drauf! Da staunst du, was?»
Vielleicht ist die neue Form von Freiheit einfach nur dieser verdammte Home-Button.