Damals wie heute reicht wenig, um zur Zielscheibe zu werden. Früher genügte eine Anschuldigung um eine Frau, die Fähigkeiten oder Eigenschaften abseits der Norm aufwies, zu verfolgen und auf dem Scheiterhaufen vor aller Augen verbrennen zu lassen. Heute gibt es keine Scheiterhaufen mehr und Diversität findet immer mehr Akzeptanz. Zumindest teilweise. Was anders ist als die «Norm», was man nicht kennt, wird auch heute noch oft negativ bewertet. Heute schreit zwar niemand mehr «Hexe», doch bewertet wird nach wie vor. Auch öffentlich. Die Methode ist nicht nur einfacher, sondern auch perfider geworden. Während man sich früher als Anfgreifer:in vor der ganzen Gesellschaft zeigte, kann man sich heute hinter anonymen Nachrichten verstecken. Kommentarspalten sind voll mit Urteilen und Bewertungen. Menschen werden nicht verbrannt, aber beleidigt, wenn sie anders sind. Oft jedenfalls. Auch die Dynamik ist ähnlich wie zur Zeit der Hexenverfolgung: Die Masse erhebt Anklage, die Beweislast kippt. Nicht die Angreifer müssen Schuld beweisen, sondern die Betroffenen ihre Unschuld.
Und doch gibt es Unterschiede. Die historische Hexenverfolgung war staatlich legitimiert, getragen von Kirchen und Gerichtsbarkeit. Mobbing hingegen ist ein informelles, oft verdecktes Phänomen – aber nicht minder zerstörerisch. Auch wenn in Schulen regelmässig darüber aufgeklärt wird, gibt es nach wie vor keine wirkliche Methode, um Mobbing zu verhindern.
Ob auf dem Pausenplatz, im Büro oder im Netz – Mobbing hinterlässt tiefe Spuren und kann Leben zerbrechen. Die Folgen sind real. Schüler:innen, die nicht mehr zur Schule gehen. Erwachsene, die krankgeschrieben werden oder ihren Job verlieren. Prominente, die sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen, weil Anfeindungen überhandnehmen. Gar Suizide aufgrund von Mobbing sind keine Seltenheit. Ein berühmtes Beispiel ist Kasia Lenhard, die sich nach ihrer Trennung von Jerôme Boateng öffentlichen Anfeindungen aussetzen musste und diesen nicht standhalten konnte. Die junge Mutter beendete ihr Leben, weil fremde Menschen sich das Recht nahmen, sie digital auf den Scheiterhaufen zu werfen.
Soziale Psycholog:innen erklären: Es sind dieselben Muster wie früher – Angst, Neid, Ohnmacht. Wer mitjagt, fühlt sich stark. Wer auf jemanden zeigt, ist wenigstens nicht selbst im Fokus. Das Kollektiv bietet Zugehörigkeit, die Jagd liefert ein Ventil.
Und genau hier liegt der Knackpunkt: Mobbing ist keine Laune der modernen Gesellschaft, sondern ein altes soziales Muster in neuem Gewand.
Der Vergleich mit der Hexenjagd ist also These, nicht Gleichsetzung. Aber er macht deutlich, wie uralt die Mechanismen sind – und wie gefährlich es ist, sie zu unterschätzen.
Prävention in Schulen, klare Regeln in Unternehmen und ein waches gesellschaftliches Bewusstsein sind die Werkzeuge, die wir heute brauchen. Denn Hexenjagden – egal ob im 17. Jahrhundert oder in der Gegenwart – hören nicht von selbst auf. Sie hören auf, wenn Menschen den Mut haben, nicht mitzumachen.
Bist du von Mobbing betroffen? Hier findest Du wertvolle Unterstützung: Hilfe bei Mobbing: Fachstelle für Schule und Eltern.