Wenn draussen die Sonne vom Himmel brennt, beginnt für viele Kinos eine der härtesten Zeiten des Jahres. Während Parks, Badis und Eisdielen boomen, wird es im Kinosaal still – zu still. Die grosse Sommerflaute ist für viele Filmtheater nicht nur eine Herausforderung, sondern ein alljährliches Überlebensspiel.
«Statt im Winter zu überwintern, tun wir das im Sommer – eine Art Sommerschlaf», sagt Clemens Nachname, einer der langjährigen Betreiber des Luzerner Kinos Bourbaki. Was romantisch klingt, ist wirtschaftlich ein Kraftakt. Denn wenn die Temperaturen steigen, sinken die Besucherzahlen rapide. Der Mensch ist ein Sonnenwesen – und das Kino ein dunkler Ort. René, ein langjähriger Kinooperateur des Stattkinos Luzern, bringt es drastischer auf den Punkt: «Der Kino überlebt den Sommer regelmässig nicht.» Und ergänzt trocken: «Der Sommer wird vom Winter subventioniert.»
Der saisonale Einbruch ist kein neues Phänomen, aber er wird spürbarer. Streamingdienste bieten bequemes Heimkino, Klimakrise sorgt für Hitzewellen, die eher nach Seeufer als nach Ledersessel rufen. Und während in den USA der Sommer als Hochsaison für Kinohits gilt – inklusive roter Teppiche, Popcornlawinen und klimatisierten Auszeiten – tickt Europa anders: Hier zieht es das Publikum bei Sonnenschein nach draussen. Die Kinoleinwand verliert gegen die Abendsonne, das Freibier gewinnt gegen den Filmabend.
Doch manchmal gelingt es einzelnen Filmen, diese Gewohnheiten zu durchbrechen. Im Sommer 2023 etwa sorgte das popkulturelle Phänomen «Barbenheimer» – die kuriose Gleichzeitigkeit von Barbie und Oppenheimer – auch in Europa für einen überraschenden Ansturm auf die Kinos. Zwei starke Titel, zwei sehr unterschiedliche Welten – und ein Beweis dafür, dass das Publikum durchaus bereit ist, sich auch im Hochsommer in den dunklen Saal zu setzen, wenn das Angebot stimmt.
Clemens bringt es auf eine einfache Formel: «Schlechtes Wetter und ein guter Titel» – das ist die beste Hoffnung für volle Reihen im Sommer.
Doch ganz kampflos geben sich die Kinos nicht geschlagen. Die Branche wird erfinderisch – mit Rabattaktionen, Publikumsbeteiligung und neuen Formaten. Ein Beispiel: Das blue Cinema versucht mit einem «Unlimited Summer Pass» das Sommerloch zu stopfen. Für 50 Franken können Besucher:innen den ganzen Sommer über unbegrenzt Filme schauen. Viel Kino für wenig Geld – eine Einladung, öfter die Sonnenbrille gegen den Vorhang einzutauschen.
Auch das Kino Bourbaki (sowie seine Zürcher Schwesterhäuser Houdini und Riffraff) setzt auf Bindung statt Massenbetrieb. Mit dem ganzjährig laufenden Format «The Ones We Love» werden Filmklassiker, Geheimtipps und persönliche Favoriten vom Publikum selbst ausgewählt. Regelmässig kann abgestimmt werden, welche Filme auf die Leinwand zurückkehren – diesen Sommer läuft beispielsweise die komplette «Herr der Ringe»-Trilogie. So verwandelt sich das Kino nicht nur in einen Ort des Sehens, sondern des Teilhabens.
Neu dazu kommt ab diesem Sommer ein weiteres Publikumsformat: das erste «You-Did-This-FilmFestival», das vom 10. bis 16.07. stattfindet. An sieben Tagen werden sieben verschiedene Genres gezeigt – von Coming-of-Age über Summertime und Crime – und auch hier entscheidet das Publikum per Abstimmung, welche Filme laufen. Ein demokratisches Festival, das Kinoliebhaber:innen feiert und das Sommerloch mit Zuschauer:innenpower füllt.
Doch so kreativ die Ideen auch sind – ein Sommer ersetzt keinen Winter. Die meisten Kinos überleben die heisse Jahreszeit nicht durch Besucherzahlen, sondern durch Reserven, die sie in den starken Monaten aufbauen. Es ist ein zyklischer Atem: Auf das grosse Ausatmen im Sommer folgt hoffentlich ein kraftvolles Einatmen im Herbst. «Der Sommer wird vom Winter subventioniert», sagt René Nachname – und meint damit nicht nur wirtschaftlich, sondern auch emotional: Der Zauber des Kinos entfaltet sich oft erst dann voll, wenn es draussen früh dunkel wird.
Trotz aller Widrigkeiten gibt es sie – die besonderen Kinoerlebnisse im Sommer. Die stillen Momente in klimatisierten Sälen, wenn draussen der Asphalt flimmert. Die eine Vorstellung, in der ein Lieblingsfilm auf der grossen Leinwand zurückkehrt. Die Flucht vor der Hitze in eine andere Welt, für zwei Stunden.
Kinos sind mehr als nur Projektionsflächen – sie sind soziale Räume, Zufluchtsorte, kollektive Träume. Und auch wenn der Sommer für viele Filmhäuser eher «sunny side down» bedeutet, gibt es immer wieder Lichtblicke. Wer sie sucht, findet sie – nicht nur im Wetterbericht, sondern vielleicht auch in einem guten Titel um 20:15 Uhr.