Erinnern, was nie war (oder doch?)

In «Hasenprosa» entführt eine Erzählerin auf eine absurde Reise, bei der die Sprache selbst zum Abenteuer wird. Zwischen grotesken Szenen und unvollständigen Erinnerungen entfaltet sich ein Text, der ebenso chaotisch wie poetisch die Erwartungen der Leser:innen auf den Kopf dreht.

Autor:in:
Jonas Rippstein
Hinweise:

Es beginnt mit der Erzählerin, die von den Stelzen fliegt? Oder doch mit einem Hasen, der in der Mikrowelle explodiert? Oder war alles nur ein Missverständnis mit der Grossmutter, bloss ein Satz, der nie gesagt wurde, aber trotzdem wirkt? In «Hasenprosa», dem jüngsten Roman von Maren Kames, ist alles möglich – solange es den Leser:innen nicht zu einfach gemacht wird. Denn Kames erzählt keine Geschichte im klassischen Sinne; sie lässt taumeln beim Lesen, sich überschlagen, auflösen und neu zusammensetzen. Die Ich-Erzählerin Maren macht sich auf – mit Reisesocken, Meilenstiefeln und dem Hasen im Schlepptau –, um einmal quer durch die Zeit, auf den Grund der Weltmeere und ins dunkle All zu reisen. Das Resultat ist ein absurder, poetischer und rauer Text, der die Logik des klassischen Erzählens bewusst ignoriert.

Ein Erzählen im Diffusen

Was wie ein autobiografisch gefärbter Erinnerungsroman beginnt, driftet schnell ab in ein Feld des Trügerischen. Die Ich-Erzählerin Maren schlingert durch ein Gewebe aus Kindheit, Traum und Traumata. Sie erinnert sich an ein Leben, das womöglich gar nie so stattgefunden hat; und genau darin liegt der Reiz: In «Hasenprosa» ist der Gedanke stets einen Schritt schneller als das Gesagte. Was erzählt wird, ist weniger wichtig als wie es erzählt wird. Kames betreibt ein Erzählen im Diffusen. Der Text ist durchsetzt von Mikroerzähleinheiten – grotesken Episoden, absurden Dialogen, losen Szenen, die sich gegenseitig kommentieren, widersprechen und unterwandern. Sprache wird hier nicht genutzt, um zu ordnen, sondern um Unordnung zu erzeugen. Satz für Satz werden Erwartungen unterlaufen, bis sich ein Chaos einstellt – ein lustvolles allerdings, denn es ist der Text selbst, der beim Lesen ein Bein stellt.

Kames hat ein feines Gespür für das Fragmentarische. Ihre Figuren sind flüchtig, kaum greifbar – eher Bewegungen als Menschen. Auch der Text selbst weigert sich, sich festzulegen. Was dabei entsteht, hat mehr von einer Performance als von einem Roman im klassischen Sinne. Realität und Fiktion verlieren ihre Zuständigkeiten. Alles bleibt in der Schwebe. Und doch wirkt das Ganze nicht beliebig. «Hasenprosa» ist kein sprachverliebtes Experiment, das sich in seinem eigenen Spiegelbild verliert. Es hat Richtung, auch wenn sie schräg ist. Präzise im Zerfall, spröde im Ton, aber in sich stimmig. Die Figur des Hasen – zuckend, flüchtend, nie ganz greifbar – ist nicht zufällig gewählt. Sie steht für die Form selbst: für deren Unberechenbarkeit.

Mut zur Lücke

Was Hasenprosa so eigen macht, ist diese Mischung aus Sprunghaftigkeit und melancholischem Unterton. Kames unterfüttert das Zersetzte mit einer leichten Schwermut, die nie pathetisch wird. Der Witz kippt ab und an ins Bittere – manchmal innerhalb eines einzigen Halbsatzes. Erinnerungen sind bei ihr keine Fundamente, sondern verschiebbare Steine; und genau das ist die Stärke des Textes: Er denkt das Literarische nicht als geschlossene Form, sondern als brüchige Fläche, die Lücken nicht versteckt, sondern ausstellt. Was zählt, ist nicht das, was war, sondern das, was hätte sein können – das Verschobene, das Ver/rückte, das Gefühl, dass alles jederzeit anders abbiegen könnte.

Und vielleicht ist genau das das Wesentliche an diesem Buch: Es versetzt die Leser:innen in eine Lage, in der wir unsere eigenen Erzählstrategien befragen müssen. Was macht eine Geschichte aus? Wo beginnt das Verstehen, wo der Irrtum? Oder sind beide vielleicht dasselbe? «Hasenprosa» gibt uns eine Textfläche, auf der sich vieles abspielt, aber nichts abschliesst. Ein Roman wie ein verwinkelter Hasenbau. Und am Ende ist man sich nicht sicher, ob man je irgendwo angekommen ist. Aber man weiss: Zumindest war man unterwegs.

Verlosung

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