Triggerwarnung: Im folgenden Artikel werden Suizid, Tod, Depressionen und Gewalt thematisiert
Er hat viel erlebt. So viel, dass man es stellenweise kaum fassen kann. Diese Autobiografie ist die tiefgehendste, mitreissendste und wohl ehrlichste, die ich jemals gelesen habe. Innerhalb dieser 256 Seiten wird man zu einer vertrauten Person von Everett. Man lacht mit ihm, leidet mit ihm, weint mit ihm. Und am Ende hat man beinahe Liebeskummer, weil man ihn loslassen muss und nicht weiter begleiten darf. Ein Effekt, den ich noch nie bei einem anderen Buch hatte.
Aber von vorn: Die Geschichte von Mark Oliver Everett ist tieftraurig und gleichzeitig voller Hoffnung. Er wächst in einer Familie auf, die ihm keine emotionale Stabilität bietet. Sein Vater, ein brillianter Quantenphysiker, ist kühl wie ein Möbelstück. Seine Mutter wird von Depressionen heimgesucht. Seine Schwester ist sein Anker, jedoch ist auch sie mental instabil. Der einzige Fixpunkt im Leben Olivers ist die Musik. Schon früh schreibt er Songs wie ein Verrückter und überwindet Hindernisse, die sich andere kaum vorstellen können.
Immer wieder schlägt das Schicksal zu. Er findet seinen Vater tot im Bett. Seine Tante ist im Flieger, der 9/11 ins Pentagon stürzt. Seine Schwester nimmt sich das Leben. Seine Mutter bekommt Krebs. Er pflegt sie bis zum Ende. Freunde sterben. Und inmitten dieses Wahnsinns schreibt er Songs für die Ewigkeit. Der Tod ist immer präsent in seinem Leben. Seine ganzen Gefühle, die gegen Aussen kaum wahrnehmbar sind, fliessen in seine Musik.
Im Buch schreibt er in einem Ton, der trocken, lakonisch und selbstironisch ist – fast so, als würde er selbst nicht ganz glauben, was ihm alles passiert ist. Die Mischung aus schwarzem Humor, Intelligenz und Bescheidenheit macht die Lektüre fesselnd. Everett gerät nie ins Selbstmitleid, obwohl er allen Grund dazu hätte. Stattdessen entsteht ein Gefühl von Trotz und Kreativität, das sich auch in seiner Musik widerspiegelt. Besonders eindrucksvoll ist seine Art, die Balance zwischen Intimität und Distanz zu halten. Er erzählt, was war – ohne Sensationslust, ohne Pathos. Stattdessen vermittelt er das Gefühl: «Ich bin nicht besonders – ich bin einfach nur ehrlich.»
«Glückstage in der Hölle» ist kein Heldenepos. Everett macht keinen Hehl daraus, wie schwer ihm das Leben fällt – auch im Musikbusiness, das sich als ebenso hart wie das Leben selbst zeigt. Ruhm kommt, aber keine Erlösung. Erfolg, aber keine Heilung. Everett ist im Überlebensmodus.
Mark Oliver Everett schafft es auf eindrückliche Weise, nüchtern und gleichzeitig tieftraurig, warmherzig und unterhaltsam, sein Leben in diesem Buch so zu beschreiben, dass man nicht mehr aufhören kann zu lesen. Hört man auch noch passend zum Buch die jeweiligen Songs, die er beschreibt, fühlt es sich an wie ein 4D-Erlebnis. Wer dieses Buch liest, wird es so schnell nicht wieder vergessen.
Ich selbst habe es fünf Mal gelesen. Seither liebe ich diese Musik wie kaum eine andere, denn durch den intimen Einblick in die Hintergründe des Musikers und die irrationale Nähe zu ihm, die man während des Lesens spürt, schaffen eine Verbundenheit für immer.
Geeignet für alle, die ehrliche Lebensgeschichten mögen. Für Musikliebhaber:innen. Für Menschen, die mit Verlust zu kämpfen haben – oder einfach gute, kluge, unprätentiöse Literatur schätzen.