Merzbow an der Kilbi: Eine Stunde Harsh Noise zur Primetime

Noch bevor die Uhr die Schwelle zur nächsten Tagesstunde überschreitet, erhebt sich am Samstagabend auf der A-Stage der Bad Bonn Kilbi 2025 ein Akt der Extreme: Merzbow, Legende des Harsh Noise, entfaltet ein einstündiges Set ohne Unterbruch – roh und kompromisslos, eine Überlagerung von Frequenzen, verdichtet zu einem akustischen Schwarzen Loch.

Autor:in:
Sarah Melillo
Titelbild:
Sarah Melillo
Hinweise:

Selten war ein «Peak» des Festivals so radikal underground: Während draussen Köpfe ins Feuer blicken, Zigaretten aufflammen und Teller gefüllt werden, entfaltet sich vor der Bühne für jene, die den Schritt hinein wagen, ein Experiment totaler Immersion. Wer bleibt, wird mit dem Raum selbst zum Resonanzkörper eines Klangs, der den Körper vibrieren lässt. Ohrstöpsel sind hier nicht nur empfohlen, sondern überlebenswichtig. Es ist mehr als Musik: ein surrealistisches Klangexperiment am Limit der Lautstärke. Sanfte Passagen kippen in hämmernde Static-Walls, bis sich auflöst, wo Lautsprecherwände enden und Körper beginnt.

Lärm als Rettungsanker

Seit 1979 formt Masami Akita alias Merzbow den Lärm. Über 500 Veröffentlichungen und unzählige Kollaborationen haben ihn zur Ikone des Genres gemacht. Doch sein Prinzip bleibt schlicht: keine Songs, keine Rhythmen, nur Schichtungen. Geräusche türmen sich auf, brechen zusammen, werden von der nächsten Wand hinweggefegt. Mal wummernde Tiefen, die wie Maschinen durch den Raum pflügen, mal schrille Spitzen, die wie Glas splittern. Das kleine, verstreute Publikum schwankt, manche schliessen die Augen, andere halten sich an diesem Lärm fest wie an einem Rettungsanker. Hier verliert Zeit ihre Kontur, getragen von einem Sound, der sich in Feedback und Rauschen verdichtet, nur um in brutaler Verzerrung wieder zu zerfallen.

In dieser Spannung entfaltet sich die eigentliche Schönheit des Moments: dass ein Act, der seit Jahrzehnten den Underground prägt, auf der grössten Bühne zur Primetime spielt und damit das Versprechen der Kilbi einlöst. Das Nischigste wird Zentrum, zum Mainact im Herzen des Festivals.

Nach sechzig Minuten bricht abrupt Stille herein. Zurück bleibt ein Nachhall, kaum in Worte zu fassen: ein weisses Rauschen, ein Abdruck. Man weiss nicht recht, ob man erschöpft oder erleuchtet ist.

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