Heiss, laut, emotional: Das war das Openair St. Gallen 2025

Sonne auf der Haut, Bass im Bauch und Emotionen mitten ins Herz – das Openair St. Gallen 2025 hat geliefert. Besonders Grossstadtgeflüster, AnnenMayKantereit, Berq und Lewis Capaldi sorgten für Momente, die noch lange in Erinnerung bleiben.

Autor:in:
Bettina Wyss
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Bettina Wyss
Hinweise:

Was für ein Wochenende: An drei von vier Tagen zeigte sich der St. Galler Himmel von seiner besten Seite. Nach dem regnerischen Donnerstag war es ab Freitag wolkenlos, warm und fast festivalperfekt. Fast, weil es sogar fast zu heiss wurde. Man sah Flip-Flops statt Gummistiefel, Sonnenbrillen statt Regenponchos. Ein fast ungewohntes Bild im Sittertobel, das als Schlammgallen eine fast schon schöne Regentradition feiert.

Grossstadtgeflüster: Abriss mit Ansage

Das grosse Highlight gleich vorneweg: Grossstadtgeflüster hat alles übertroffen, was man sich an perfekter Stimmung vorstellen kann. Wer am Samstagabend noch halbwegs nüchtern und energiegeladen war, hat sich von dieser Band vollends mitreissen lassen. Die Berliner haben nicht nur die Bühne, sondern gleich das ganze Tal auseinandergepflückt – mit einer Mischung aus Elektropop, Punk-Attitüde und maximaler Selbstironie. Bei «Fickt-Euch-Allee» tobte die ganze Sternenbühne, bei «Ich will jetzt mein Diadem» entstanden mehrere Moshpits gleichzeitig und bei «Ich kündige» hüpften sogar die hintersten Reihen voller Euphorie. Der Auftritt war laut, schräg, clever – und definitiv ein Highlight für alle, die das Festival nicht nur konsumieren, sondern fühlen wollen.

Wir lieben das Openair St. Gallen (Bild: Bettina Wyss)

AnnenMayKantereit: Dauer-Gänsehaut

Weniger wild, aber nicht weniger intensiv ging es wenige Stunden zuvor bei AnnenMayKantereit zu. Die Band rund um Henning May war der grosse Headliner des Festivals und erfüllte diese Aufgabe mit Bravour. Mit ihrer emotionalen, dichten Setlist bewiesen sie einmal mehr eindrucksvoll, dass sie zu den ganz Grossen in Deutschland gehören. Wenn diese Stimme durch die Lautsprecher rollt, bleibt kein Herz unberührt. Mit Streicher:innen und Bläser:innen untermalten sie ihre Ohrwurm-Songs und erinnerten stellenweise an Patent Ochsner. Tausende sangen «Oft gefragt» mit, als wäre es ihr persönlicher Soundtrack. Und bei «Ozean» sangen die Bandmitglieder dreistimmig mitten im Publikum. Auch der oft gestreamte Coversong «Tom's Diner» war ein Moment, der das Konzert unvergesslich machte. Mit jedem Song, der die Band spielte, wurde den Menschen klar: Das hier ist was ganz Besonderes. Am Schluss kehrte Henning May als Zugabe nochmals auf die Bühne zurück, setzte sich ans Klavier und presste mit «Barfuss am Klavier» wohl auch den letzten stabilen Menschen die Tränen aus den Augen. Einfach bewegend.

Berq: Leise, tief, bewegend

Wer Berq bisher nicht kannte, hat am Samstagabend ein neues Kapitel aufgeschlagen. Der deutsche Sänger mit der zerbrechlich-schönen Stimme und den tiefgründigen Texten schuf eine der stillsten, aber eindringlichsten Festivalerfahrungen des Jahres. Kein Rumgeschreie, keine Pyroshow – nur Stimme, Sound und Gefühl. Und doch zeigte sich, dass er wohl schon viele Fans in der Schweiz hat. Das Publikum sang bei fast allen Songs Wort für Wort mit. Spätestens bei «Rote Flaggen» eroberte er die Herzen der Menschen vor der Bühne. Die Hitze war vergessen, auch wenn es regelrecht brodelte im Zelt der Sternenbühne.

Lewis Capaldi: Ein Versprechen eingelöst

Der wohl emotionalste Moment des Festivals kam am Samstagnachmittag. Überraschungsgast Lewis Capaldi betrat die Bühne – drei Jahre nachdem er seinen Auftritt 2022 aus gesundheitlichen Gründen absagen musste. Und was dann passierte, war kollektives Herzklopfen. Er spielte nicht nur seine Hits wie «Someone You Loved» und «Before You Go», sondern auch neue Songs – und erzählte mit Humor und Verletzlichkeit von seinem Weg zurück auf die Bühne. Es war ehrlich. Es war gross. Und es war genau das, was dieses Festival ausmacht. Ganz viel Liebe durch die Musik.

Überraschung: Lewis Capaldi berührte als Surprise Act die Herzen des Publikums (Bild: Bettina Wyss)

Nemo: Zwischen Pop, Oper und purem Talent

Wer am Sonntagnachmittag dachte, das Energielevel am Openair St. Gallen sei langsam aufgebraucht, hatte Nemo noch nicht erlebt. Mit einer gesanglichen Präzision, die mühelos zwischen Oper und Pop changierte, hat Nemo das Publikum nicht nur beeindruckt – sondern verblüfft. Erst präsentierte er frühe Tracks wie «Himalaya» und «Ke Bock», was sofort für Top-Stimmung sorgte. Es folgten schliesslich brandneue Songs, die Nemo mit so viel Begeisterung und Freude sang, dass man nur hingerissen sein konnte. Den alten Song «Du» sang Nemo a cappella mit Vocoder, was nicht nur gesanglich eine einwandfreie Meisterleistung war, sondern auch ein berührender Moment, den man als Highlight des Konzerts betrachten kann. Und als man dachte, besser gehts nicht mehr, präsentierte Nemo das Cher-Cover «Believe». Und als Nemo schliesslich «The Code» anstimmte, war die Stimmung nicht mehr zu bremsen. Hier stand ein Mensch, der die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf einer Bühne vereint. Eindrucksvoll, mitreissend, kompromisslos. Ein Mensch, der zeigt, wer er wirklich ist. Kein Wunder klatschte das Publikum nach «Explainable» minutenlang. Der Song ist der wohl persönlichste und zerbrechlichste von Nemo. Als der Applaus nicht enden wollte, sah man kleine Tränen in Nemos Augen glitzern. Das Publikum schenkte Nemo in diesem Moment ganz viel Liebe. Unvergesslich.

Nemo und sein Pianist. Ein Wahnsinns-Moment. (Bild: Bettina Wyss)

Und dann kam Faber

Zum Schluss nochmal alles. Faber trat mit grosser Band auf der Hauptbühne auf – und liess keine Zweifel, dass auch der Sonntagnachmittag Festivalmagie bereithalten kann. Zwischen Tanz, Schwelgerei und messerscharfen Texten zog er das Publikum in seinen Bann. Und obwohl viele schon müde waren, hat Faber sie mit einer sackstarken Performance endgültig wachgerüttelt.

Fazit: Mehr als nur Musik

Das Openair St. Gallen 2025 war ein Wochenende voller Emotionen, Energie und Ekstase. Es war laut und leise, schweisstreibend und herzöffnend. Die Mischung aus heissen Temperaturen und heissen Acts hat das Festival zu einem der besten der letzten Jahre gemacht. Wer dabei war, weiss: Das war nicht nur Musik. Das war ein Lebensgefühl.

Danke St. Gallen. Wir können das nächste Jahr kaum erwarten. (Bild: Bettina Wyss)
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