Gute Laune, respektvolle und lockere Atmosphäre gemischt mit Spontaneität, Humor und natürlich einer ganze Menge Klänge prägten die vier Festivaltage. Trotz Tradition versteht es das Gurtenfestival immer wieder, frischen Wind über den Güsche fegen zu lassen. Dieses Jahr mit einer neuen Bühne namens «Forum» speziell für Comedy-Shows, Live-Podcasts und literarische Lesungen.
Von allen Seiten kam es daher, dass bunt gemischte Güsche-Publikum. Freude herrschte in der Bahn sowie beim Aufstieg zu Fuss. Es wurde geplant und geplaudert, Empfehlungen und Getränke wurden ausgetauscht. Auf dem Weg durch den angenehm kühlen Wald begegneten uns Stände mit Glitzer für den letzten Make-Up-Schliff, Sonnencreme, Deo und alles von Shots bis Softdrinks, für letzte Vorbereitungen war also auch gesorgt.
Die krankheitsbedinge Absage von Nina Chuba als Hauptact gleich am ersten Festivaltag war zwar sehr bedauerlich, minderte jedoch die positive Stimmung auf dem Gurten-Gelände keineswegs. Kurzfristig wurde Ski Aggu als ihr Ersatz aufgeboten, der nach der Hauptbühneneröffnung durch den Wiener Rapper Bibiza die Stage zum Beben brachte.
Die Freiburgerin und diesjährige ESC-Vertreterin der Schweiz Zoë Më spielte mit ihrer Band auf der Waldbühne. Sie zeichnet sich nicht nur durch ihre ruhige und gefühlvolle Musik mit zweisprachigen Texten aus, sondern auch durch deren aussagekräftigen Inhalt, denn sie mag es, Geschichten zu erzählen. Als Zoë Më mit 10 Jahren zum ersten Mal als Gast am Gurtenfestival war – an ihrem allerersten Festival überhaupt – war sie so hin und weg, dass sie kurzerhand den Entschluss fasste, selbst Musik zu machen. Also ging sie nach Hause und schrieb ihren ersten Song. Deshalb ist ihr Auftritt am Gurtenfestival für sie etwas Besonderes und fühlt sich für sie fast schon wie ein Nach-Hause-kommen an.
Ein Lied widmet Zoë Më ihrer Nachbarin mit Trisomie 21, die wie schon an ihrem ersten Konzert auch vor der Waldbühne in der ersten Reihe stand und begeistert mittanzte. «Du kannst in der Menge stehn, ich werde dich immer sehn» ist eine Zeile des Liedes. Sie thematisiert darin «Normalität» und wie wir doch alle irgendwie normal und nicht normal zugleich sind.
Macklemore schien es gefallen zu haben in Bern. Und doch fühlte er sich nicht ganz willkommen. Mit seiner Aussage «free palistine» stösst er nicht nur auf Sympathie, obwohl im Publikum einige Palästina-Flaggen zu sehen waren. Doch die darauffolgenden Songs und die Bühnenpräsenz des Rappers aus Seattle lassen die Zuhörenden zumindest für einen Moment die heikle aktuelle Lage im Osten vergessen. Es wurde lauthals mitgesungen auf dem vollen Platz vor der Hauptbühne.
Sogar der «schönste Berner» beehrt mit seiner Anwesenheit, natürlich - die Rede ist vom Rapper Luc Julian Peyer aus Oberbottigen, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Jule X. Er bediente seine Fans in Leoparden-Trainer und frisch gestutztem Vokuhila mit seinen mittlerweile bekannten Gassenhauern. Seine Jungs – die Vokuhila Mafia – wie immer im Rücken. Die johlende Crowd vor der zweitgrössten Bühne des Güsche war voll mit dabei und konnte dieses Jahr glücklicherweise keinen Boden zu Fall bringen.
Evita Williams James aus Luzern mit DJ Namen APRYX sorgt für Partystimmung. Wir treffen Sie nach ihrem Set auf ein kurzes Interview im Schatten der Zeltbühne.
frachtwerk: Wie bist du DJ geworden?
Evita: Ich habe mir schon länger überlegt DJ zu werden, weil ich die Vielseitigkeit so toll finde. Musik hat mich generell immer begleitet und mit dem DJing kann ich mich gut identifizieren, zudem haben mich Freudinnen immer wieder motiviert und mir Anstoss gegeben, es doch einfach mal auszuprobieren. Durch mein Arbeitsumfeld in Clubs und Bars war es für mich naheliegend. Im Nachtleben habe ich oft Menschen gesehen, die auflegen. Angefangen habe ich dann in meiner WG auf dem Mischpult meiner Mitbewohnerin. Später machte ich bei «Helvetia rockt» einen DJ-Kurs und so bin ich dann ziemlich schnell reingerutscht.
frachtwerk: Kann man dich buchen?
Evita: Ja, bei forcefieldrecords.com das ist ein FINTA* Lable aus Bern. Sie machen momentan mein Booking.
frachtwerk: Was gefällt dir besonders am Auflegen?
Evita: Rhythmik und Bass. Das nimmt mich mit und macht Spass. Und die Möglichkeit, unterschiedliche Genres zu mischen, so entsteht eine Eigendynamik. Ich könnte nicht immer das selbe Genre auflegen, ich brauche Bewegung.
frachtwerk: Welche Genres legst du am liebsten auf?
Evita: Zu Beginn war es viel Latin Techno, später kamen weitere dazu. Grundsätzliche bewege ich mich im POC (People of colour) Raum, also Jersey Club, Tribal, Baile Funk, Ghetto Techno, Drum and Bass. Viel Verschiedenes, aber so in diese Richtung.
frachtwerk: Was hast du weiter vor im DJ-Bereich?
APRYX: Ich habe nicht per se ein Ziel. Im Moment stimmt für mich die Base vom Auflegen, die Regelmässigkeit und das würde ich gerne so beibehalten. Ich finde es schön, aktiv zu bleiben und selbst Dinge ausprobieren, so bin ich nicht abhängig von Anfragen, stresse mich nicht und muss mich auch nicht mit Anforderungen, die ich bei Anfragen an mich selbst stelle, herumschlagen. Ich sage auch nicht zu allem Ja. In Queeren oder Diversen Räumen lege ich besonders gern auf und halte mich bis jetzt eher vom Mainstream fern. Mir sind die Begegnungen auf der Tanzfläche wichtig, wie man miteinander umgeht und wie die Stimmung ist.
frachtwerk: Evita, wie kamst du zu deinem DJ Namen APRYX?
Evita: Mein Friend Billie hat für sich den DJ Namen Après Soleil ausgesucht. Wir sprachen darüber und irgendwann meinte ich dann, wenn ich jemals auflegen werde, heisse ich Après-Ski und Sie meinte dann, nein du heisst dann Après Sex und so entschied ich mich für APRYX.
An diesem Donnerstagnachmittag lässt Sie mit ihrer Band die Herzen höher schlagen. Die authentische Lady Wray auf der Zeltbühne fällt auf mit ihrem grün glitzernden Outfit, knallgelbem Haar und schwarzer Sonnenbrille. Die Frau, die schon seit Kindesjahren Soulmusik machen wollte, scheint wirklich dafür geboren zu sein. Schnörkellos und stark mit viel Feuer in der Stimme, wird die US-amerikanische R&B- und Soulsängerin oft mit Aretha Franklin verglichen.
Der Rapper Maxim von KIZ lässt sich von einem gebrochenen Bein, was er sich scheinbar beim Konsum einer sehr gefährlichen Substanz zugezogen hat, nicht die Show stehlen. Auch wenn sein Bein nicht zu gebrauchen ist, seine markante Stimme ist es und auf diese kann er sich verlassen. Die Beine im Publikum funktionieren hingegen auf Hochtouren. An Stillstehen war nicht zu denken. Ein Moshpit ging in den nächsten über und die Menge tobte. Energiegeladen, satirisch provokant und kritisch treten sie auf, wie man die drei Berliner Nico, Maxim und Tarek bereits kennt. Sie haben die Nacht vom Donnerstag auf den Freitag zum Tag gemacht und es wieder mal so richtig krachen lassen.
Die australische Sängerin Jacoténe lässt mit ihrer unverkennbaren Bombenstimme auf der Zeltbühne nur Gänsehaut und Staunen zurück. Umso mehr, wenn man bedenkt, dass Sie erst 19 Jahre alt ist.
Etwas später kündigt sich Noga Erez mit dröhnendem Bass und viel Rauch an. Nach einer von Coolness gesättigten Verbeugung reisst die israelische Sängerin das Publikum mit dem ersten Song the Vandalist gleich mit. Darauf folgt ein Banger nach dem anderen, die Noga Erez mit ihren gekonnten Dance Moves unterstreicht. Auch Sie ruft ein politisches Statement aus, «for a world without violence, racism and discrimination». In Ihren Liedtexten spiegelt sich ihre kritische Haltung gegenüber der israelischen Regierung wider.
Geisterstunde. Vier weisse, haushohe Ballonfiguren umrahmten die Stage, ansonsten hält sich das Bühnenbild der Hauptbühne eher bescheiden. Mit seiner markanten Panda-Maske weckt der Rapper aus Stuttgart sogleich Erinnerungen an frühere Zeiten. CRO kam zum Start seiner Festival-Hits-Tour sehr easy daher. Doch als er gleich zu Beginn mit seinem gleichnamigen Hit hervorrückte, wurde er sofort vom Publikum gefeiert.
Neben gemütlichem Public Viewing auf der Zeltwiese sorgen die zwei Ladys von Achtung Scharf im Supermercado für Action. Auf der Forum-Bühne wird zum Singen eingeladen, und in den beiden Live- Podcasts «los emmal» und «Herrgöttlich Panaschiert» wird mit Witz und Ehrlichkeit über Alltagsthemen diskutiert.
Das stolze Gitarren-Duo Hermanos Gutiérrez aus Zürich holt uns mit bodenständigem Instrumental Rock ab. Die beiden Brüder haben ecuadorianische Wurzeln und lassen diese mit geheimnisvoller Stimmung in ihre Gitarrenklänge einfliessen. Sie spielen schon seit zehn Jahren erfolgreich zusammen.
Der wohl grösste Act am diesjährigen Gurten war Will Smith, der Schauspiel- und Musikstar aus den USA. Es war sein erster, aber scheinbar nicht sein letzter Auftritt in der Schweiz, ein fast schon historischer Moment also. Ein Hit nach dem anderen wurde gespielt und mit Tanz Performance, Rauch, Feuerfunken und zum Teil skurrilen Alien-Videos verwandelte Will Smith die Hauptbühne in eine wahre Showszenerie.
Am letzten Abend wurde also nochmals richtig auf den Putz gehauen, und zwar bis in die frühen Morgenstunden. Gegen 06:00 war dann aber endgültig Schluss und auch die letzten Seelen wankten müde talwärts.
Ciao Güsche – bis zum nächsten Jahr, wir freuen uns jetzt schon!
Was da wohl wieder alles auf uns zu kommt…