
Das Publikum sitzt im Halbdunkel, es ist still. Laute Gedanken strömen durch den Raum, die Menschen im Saal saugen die lange Ruhe richtiggehend auf. Sophie Hunger tritt auf die Bühne. Die Präsenz der Musikerin und Autorin ist einzigartig. Sie nimmt sich Zeit, richtet in Ruhe ihr Mikrofon und eine Kamera, aber sagt keinen Ton. Erst, als alles passt und eine Nahaufnahme ihres Mundes auf einem grossen Bildschirm zu sehen ist, öffnet sie langsam die Lippen und beginnt zu lesen. Es ist das Editorial ihres Romans «Walzer für Niemand». Die Menschen im Saal sind mucksmäuschenstill und lauschen dem innigen Zwiegespräch von Sophie Hunger mit sich selbst. Es ist ein Gesprächzwischen Stimme und Stille, zwischen Wort und Ruhe, zwischen dem, was gesagt wird und dem, was unausgesprochen bleibt. Es ist ein Gespräch mit «Niemand». Und es ist von der ersten Sekunde an magisch.
Bekannt wurde Sophie Hunger als Grenzgängerin zwischen Jazz, Pop und Chanson, als Musikerin mit unverwechselbarer Stimme und poetischer Klarheit. Nun verlegt sie ihre Sprache vom Songtext in die Literatur. Doch auch hier bleibt sie, was sie immer war: eine genaue Beobachterin, die das Unausgesprochene hörbar macht. «Walzer für Niemand» erzählt eine Coming-of-Age-Geschichte, in der das Erwachsenwerden einer jungen Frau und ihre Verbindung zur Musik im Zentrum stehen. Ausgangspunkt ist eine Freundschaft mit einem Kindheitsgefährten namens «Niemand». Ihr Gegenstück. Dennoch halten sie gemeinsam an einer Sache fest: Sie sind der Musik und der Suche nach Zugehörigkeit verfallen. Gemeinsam entdecken sie den Zauber des Klangs, die Kraft der Platten, das Glück, einen Rhythmus zu finden, der nur ihnen gehört. Doch im Erwachsenwerden geht dieser Rhythmus verloren. Das Buch fragt, was bleibt, wenn man sich selbst verändert, und was man zurücklässt, wenn man vorwärtsgeht.
Bald bin ich nichts und das was dann bleibt, ist Deine Wenigkeit
Wenn Sophie Hunger zu ihrer Lesung einlädt, ist es viel mehr als das. Sophie Hunger wechselt immer wieder die Perspektiven, nutzt verschiedene Stimmen und schafft es auf einmalige Weise, ihr Publikum zu fesseln. Die Faszination ihrer Lesung ist ihre Gabe, die Menschen in den Bann zu ziehen und eine einmalige Kombination aus den Worten und ihrer Präsentation zu schaffen. Gekrönt wird die Lesung durch Songs, die Sophie Hunger zwischendurch singt, indem sie sich selbst auf der Gitarre begleitet. Während der gesamten einstündigen Lesung ist die Stimmung regelrecht fühlbar im Raum. So viel Faszination liegt in der Luft. Es ist ein literarischer Walzer, ein spielerisches Wechselspiel zwischen Text und Klang, ein Zwiegespräch zwischen Literatur und Musik. Die Grenzen zwischen Lesung und Konzert verschwimmen, und genau dort liegt die Magie: Das Publikum wird Teil eines Dialogs, der nicht erklärt, sondern spürbar macht.

«Walzer für Niemand» ist eine Einladung, hinzuhören. Ein absolut grandioses Werk einer Ausnahmekünstlerin, die es auf einzigartige Weise präsentiert. Die Autorin ist dankbar, dieses Werk live erlebt zu haben und kann den Menschen nur ans Herz legen, diesen unvergesslichen Abend mitzuerleben.