Schauer, Rausch und Regenbogen: Die Bad Bonn Kilbi 2025

Die diesjährige Kilbi fand – in Absprache mit den Düdinger Erdbeerbauern – nicht wie gewohnt im Mai, sondern erst im September statt. Wettertechnisch sind Früh- und Spätsommer ähnlich unberechenbar. Dieses Jahr begrüsst der Himmel uns Kilbigänger:innen mit Regenschauern. Ein Festivalblog von Lorenzo Liem und Sarah Melillo.

Autor:in:
Lorenzo Liem & Sarah Melillo
Titelbild:
Lorenzo Liem
Hinweise:

DONNERSTAG: 

Die Glücklichen, die am Donnerstag noch vor der Sintflut ihr Zelt aufbauen konnten und trocken zum ersten Konzert des Festivals gelangten, wurden gleich mehrfach belohnt. Die überdachte B-Stage bot in diesem Moment weit mehr als nur Schutz vor der Witterung. Auch wenn Daisy oder Erna ihren «off-peak» Techno-Verschnitt zum Besten gaben, waren sie nicht die einzigen, die das Zelt zum Kochen brachten. Während des Konzerts wurde vor ihrem Pult am Fuss der Bühne ein Kreis aus ungefähr zehn Racletteöfen errichtet. Von Rösti, bis zu heissen Beeren und Bernerplatte war alles dabei. Das Ganze glich einer Zeremonie, die das Konzertzelt in einen Feuerkreis verwandelte. Wem jetzt noch nicht warm war, wurde spätestens nach einem Schluck aus dem Negronibrunnen eingeheizt.

Gleich klingt an, für was die Kilbi eh und je steht: Gemeinschaftsgefühl und Musik werden gleichermassen gross geschrieben. Die Kilbi ist kein Camping-Festival der Vereinzelung unter Pavillons. Die Bühnen sind nah beieinander – die musikalische Bandbreite weit. Ab der ersten Minute pendeln die Menschen zwischen A-Stage, Club und B-Stage – immer auf der Suche nach der nächsten musikalischen Perle.

Als nächstes brachte uns Sopraterra in ihren Geräuschkulissen zum Schweben und später markierte Beaks die Ankunft des Texts an die diesjährigen Kilbi – in ihrem Fall in tagtraummelancholischer Monotonie über hypnotisierenden post-punk Bassgitarrenlines.  

Auf die Spitze getrieben wird das Gemeinschaftsmantra der Kilbi durch den letzten Auftritt des Nachmittags. 18:30, A-Stage, gefühlt alle da. Das Schrei Nicht so Orkestra dekonstruiert die Grenze zwischen der Bühne und dem Publikum. Die Musiker:innen sind über das ganze Festzelt verteilt, man muss sie nur noch finden. Das Konzert ist geprägt von dieser Suchbewegung - niemand im Publikum steht still, weder geographisch noch geistig. Das tribalistische Getrommel des Schlagzeugs ist das Epizentrum des ganzen Spektakels, spätestens jetzt ist die Masse der Musikgläubigen zum «Tribe» vereint und die Zeremonie, mit den Racletteöfen startete, vollendet.

Direkt nach dem Konzert – und das jetzt kein Scheiss – der Himmel klart auf – bang – double Rainbow. Keine 90 oder 120 Grad, sondern volle 180 – von Boden über Bogen zu Boden und das zweifach. Uns war, als hätten wir zum ersten Mal einen Regenbogen gesehen. Die Welt muss neu in Sinn überführt werden. Wir sind im Paralleluniversum «Festival» angekommen – alle unter einer Sonne – um uns Musik.

Nach dem Naturspektakel wenden sich die langsam trocknenden Regenjacken mit Beurre der Nacht zu. Unter dem Zelt der B-Stage tut sich hier eine ganz neue Art von Gewitter auf – polyrhythmisch, verzerrt, brachial.

Später am Abend standen mit The Young Gods wahre Legenden der Schweizer Musikgeschichte auf der Bühne. Seit den 1980ern prägen sie mit ihrem Industrial-Rock und Spoken-Word-Vocals die Szene. Einen ganz anderen Akzent setzt die Nacht im Club mit Jamira Estrada, Newcomer DJ und Produzentin, die roh und direkt Acid-House, Techno und Breaks mischte – an der Schnittstelle von elektroakustischer Komposition und Club-Improvisation. Den Abschluss auf der A-Stage bildete Nathalie Fröhlich, die mit ihren rauen Live-Perfomance den Rave ins Zentrum rückte: Eine explosive Mischung aus Techno, Breakbeat, Hip-Hop und Baile Funk. Gesellschaftskritisch aufgeladen, mal rappender, mal singender Club-Groove – und mitten im Set schwamm sie à la provokatives Finale mit dem Explorer-Pro-300-Gummiboot durch die Menge. 

FREITAG: 

Unser Tag begann am See mit atmosphärischem Sound von REA, die Harfenklänge mit poetischen Textfragmente verwebte, als küssten sich Text und Lyra vor versammelter Menge am Strand. Es herrschte eine mystische Stimmung, die Badenden lauschten ruhig - fast schon in Stille. Der erste Badetag erklärte dem Regen ein zartes Abschiedswort.  

Aus den sonnigen Tagträumen erwacht, befanden wir uns plötzlich wieder auf dem Festivalgelände. Die Stimmung wechselte abrupt: Forsissies traten mit einem musikalischen Fuck-You auf, das sich irgendwo zwischen Perfomance-Art und Musik bewegte und demonstrierte, dass sich mit Bildern genauso soviel sagen lässt wie mit Klängen. 

Die aufgeladene Energie nahm mit dem Auftritt von MC Chunky und DJ Metrodome gegen Abend ihren nächsten Höhepunkt. Ihre Musik verband typische Elemente aus Grime, Rap und D&B mit afrodiasporischen Klangfarben. Auf der Bühne brachten sie all das mit unverkennbar viel Charme und Energie zur Entfaltung: Im ständigen Wechselspiel entstand eine Dynamik, die das Publikum pulsieren und mitreissen liess.

Abends brachten Maquina aus Portugal das Gelände mit ihrem psychedelischen Rock zum Vibrieren: treibende Rhythmen und verzerrte Gitarren verdichteten sich zu einem magnetischen Rausch. 

Mit Acopia aus Melbourne folgte ein sanfter Zwischenstopp ins Reich des melancholischen Dream-Pop. Ihre Performance war fragil, intim, atmosphärisch. Ihre Musik schmeckte nach dem cherry coloured funk der Cocteau Twins: Weichspüler-Shoegaze über Downtempo-Beats. So entstand ein Sound, der mitten ins Herz sank, durchatmen liess und uns noch um Mitternacht an die vergangenen Sonnenstrahlen des Tages erinnerte.

In den frühen Morgenstunden entwarf Frederik Valentin mit seinem impulsiven und zugleich feinfühligen Set ein experimentelles Klanggebilde, das über die Köpfe des Publikums zu schweben schien. Den offiziellen Schlusspunkt setzte Crystallmess, deren düsterer Techno-Club-Sound die Nacht in ihr glitzerndes Unheil entliess. 

Doch wirklich zu Ende war der Freitag damit noch lange nicht: Auf der Karaoke-Bühne wurde bis in die Morgenstunden weiter gesungen – das Mikrofon nun in der Hand des Publikums. Wir selbst waren nicht dort, wussten nicht aus welchen Träumen die Ohrwürmer krochen. Am nächsten Tag hörten wir zahlreiche Geschichten von Menschen, die erst um neun Uhr morgens zurück zum Zeltplatz fanden. Auf der Warteliste standen in Kontrast zu den Underground-Perlen Pop-Ikonen wie Katy Perry und Cher. Ein Beweis für die musikalische Toleranz des Festivals, das sonst alternativer nicht sein könnte. 

SAMSTAG:

Der Samstag war geprägt von experimenteller Musik, elektronischer Intensität und Hau-Drauf-Energy. Auf der Club-Stage brillierte BEA1991 mit sphärischen Grooves, die einen Bogen zwischen Nostalgie und Gegenwart, zwischen Ursprung und Fortschritt spannten. Schliesslich schwingt in ihrem Namen auch das Gründungsjahr der Kilbi subtil mit. 

Mit Panic Shack kam pure Energie auf die Bühne: Indie-Pop-Post-Punk-Cuntology mit Glam-Rock Elementen in ihrer pursten Erscheinungsform. Es war laut, wild, politisch und dennoch ein Fest. Stages-Dives, rücksichtsvolle Mosh-Pits und eine Atmosphäre, die weniger an Riot-Girls als an «Friends having fun» erinnerte. Der Auftritt war ein kollektives Auspowern, eine Party, die man kaum nicht lieben konnte. 

Doch das Herzstück des Abends gehörte der Avantgarde:  auf der A-Stage. Der japanische Harsh-Noise-Pionier gilt seit Jahrzehnten als Legende der experimentellen Musik. Dementsprechend war sein Konzert alles andere als leicht verdaulich. Ob nun von der Front-Row, in der tröstenden Wärme des Feuers, um die Essensstände oder auf dem Zeltplatz – Merzbow konnte man nicht entkommen. So laut war es an der Kilbi wahrscheinlich seit My Bloody Valentine 2013 nicht mehr. Verzerrungen, schiefe Frequenzen, alles ohne Rhythmus: Ein Soundgewitter, das, wenn man sich ihm hingab, zur körperlich-sinnlichen Grenzerfahrung wurde. (Siehe dazu die Konzert-Review von Sarah Melillo). «Love it or hate it»: Die anspruchsvollste Musik platziert die Kilbi in der Prime-Time.

Dieser fordernde Höhepunkt war zugleich unser Abschluss des Festivals. Die Kilbi zeigte einmal erneut, warum sie so einzigartig ist; weil sie Grenzen sprengt und Musik in allen Facetten zelebriert. Sie war auch dieses Jahr – oder besonders dieses Jahr! – ein Festival, das nachklingt – noch Tage später. 

Die eineinhalb stündige Autofahrt nach Luzern verbrachten wir ohne Musik. Bis zum nächsten Jahr. Kilbi wir haben dich lieb <3

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