«Hätte Sie gärn e Schöggeli?» Das Publikum wird, sobald es den Theatersaal betritt, mit Schöggeli freundlich von einer Stewardess (Olivia Ronzani) begrüsst. Danach wird es zum Abflug startklar gemacht. Es folgen die flugüblichen Sicherheitshinweise – das Publikum hört aufmerksam zu und folgt den Instruktionen. Noch scheint alles unscheinbar an diesem Sonntagabend. Der theatralische Abflug braucht seine Zeit.
Die Compagnie «cie.softsoil» formierte sich 2023 aus Sarah Calörtscher, Melanie Durrer und Linda Vollenweider. GROUNDING ist ihre zweite Produktion, die sie im Rahmen einer Residenz am Südpol gemeinsam mit der Performerin Olivia Ronzani, die für das Stück zur Gruppe dazustösst, konzipiert haben. Darin wird der Konkurs der Swissair im Jahr 2001 zum Raum einer poetischen Reflextion über Sicherheit und Stabilität im Angesicht einer Katastrophe.
Wenn wir stürzen, wie weich können wir überhaupt noch landen?
Der Beginn des Fluges verläuft unscheinbar. Mit einer Nebelmaschine wird ein Wolkenmeer in den Raum geblasen. Die Stewardess macht ihre Runden mit dem Rollwagen. Durchsage reiht sich an Durchsage; doch plötzlich kommt es zum Sturzflug.
Die Geräuschkulisse wirkt hektisch, wilder Wind düst durch den Saal, die Idylle des Wolkenmeers, das zum Campari Soda schlürfen einlädt, ist gebrochen. Inmitten dieser Szenerie wird immer wieder danach gefragt, was uns wirklich Sicherheit gibt. Der Ausdruck des Spiels ist stark, es wird klar: Eine Garantie auf Sicherheit gibt es nie. Die Stewardess versucht ohne Gelingen zu beruhigen.
Das Flugzeug droht abzustürzen, die Lichter flackern, der Lärm des Absturzes nimmt den Raum ein – doch dann kommt der Knall. Die Performerin nimmt hustend den Exit. Es ist ein Riss im Sturz. Die Katastrophe vermeintlich abgewendet. Danach folgt ein szenischer Übergang in eine humorvolle Medienkonferenz. In dieser steht die Kritik an den Ansprachen der damaligen Verantwortlichen im Zentrum. Sprachgewaltig werden die Heuchlerei, das Herunterspielen, das Herumreden in die Ansprache verwebt. Hier gelingt es Ronzani, in akkurat schnödem Beamtenschweizerhochdeutsch die Kehrseite der vermeintlichen Sicherheit einzufangen. Die erleichternden Worte entpuppen sich als schwere Lügen, Euphemismen reihen sich aneinander, bis allen klar wird: Die Swissair ist wortwörtlich am Boden der Tatsachen angekommen.
«Wir stürzen nicht ab, wir fliegen weiter»
Gegen Ende des Stückes wird aufgeräumt: Die Schöggeli, der Sicherheitsgurt, die Campari Sodas, sie kommen alle in den Abfallsack. Eine überdimensionale Schweizerfahne wird abgestaubt, währenddem die Nationalhymne gepfiffen wird. Die Metaphern sprechen für sich. Ebenfalls für sich spricht die audiovisuelle Ebene des Stücks, auf welcher konzeptionell hervorragend gearbeitet wurde. Dabei stechen besonders die Übergänge hervor, die sehr gelungen sind, sowohl auf der bildlichen als auch auf der klanglichen Ebene. So entsteht ein schön ausgearbeiteter Rahmen, in den sich die Soloperformance von Ronzani bestens einbettet.
GROUNDING ist ein ambitioniertes Projekt, das versucht, Schweizer Zeitgeschichte mit grossen Fragen zur Sicherheit, Stabilität und Neutralität zu verbinden und zu untersuchen. Ob es möglich wäre, in sechzig Minuten noch tiefer ins Thema einzusteigen, und ob sich hier im Anspruch nicht ein wenig übernommen wurde, lässt sich im Raum stehen lassen. Die Bilder, die cie.softsoil während des Fluges kreiert, waren es allemal wert, sich das Stück anzusehen – und die aufgeworfenen Fragen, die «Turbulenzen», wie man sie nennen könnte, fliegen auch nach der Vorstellung zumindest im Kopf der Theatergänger:innen noch ein Weilchen herum.
Die Tourneedaten zu weiteren Vorstellungen von GROUNDING wird cie.softsoil bald bekanntgeben.