Vertraut der Jugend und entfacht ihr Feuer – STT #2

Auch der zweite Tag beginnt gleich: verregnet. Zum Glück bietet das STT eine inspirierende, jugendliche Dramaturgie, die durch den Donnerstag führt, damit man nicht in der monotonen Tristesse versinkt. Durch das Entfachen von Visionen und das Verfeuern von Krisen wird verdeutlicht, dass sich das Theater keine Abstriche durch die trübe Aussenwelt gefallen lassen will.

Autor:in:
Silas Schmuckli, Léon Schulthess
Hinweise:

Am Nachmittag öffnet Assitej, der internationale Fachverband des Theaters für Kinder und Jugendliche, ein Gespräch über das grösste Mysterium der Erwachsenen: die Jugend. Und umso herausfordernder scheint ihre Kombination mit dem Theater, weswegen im Austausch erste Impulse gesetzt und Prozesse angestossen werden, um aus dieser Nische auszubrechen. Wie das Brecheisen angewendet werden könnte, zeigen vier Workshops, geleitet durch die Nominierten des Prix Assitej und den Jugendlichen des Kinder-/Jugendtheaters Zug.

Die Walliser Compagnie Digestif lud die Beteiligten zur Improvisation ohne Worte ein, und theaterbegeisterte Individuen schlagen ein solches Angebot nicht aus: So entwickelte sich eine szenische Gruppendynamik, die Berührungspunkte auslotete, polterte und jaulte, und in tänzerische Kombinationen überging. «Schon ein bisschen ungewohnt», gestand ein Jugendlicher, war aber begeistert. Tipp für alle Eltern und Spielgruppenleiter:innen: Diese Gruppenimpro ist auch für Kleinkinder super machbar!

Für Fahr.Werk.ö! sind Pizzazutaten Symbole für die Vorurteile und Hürden des Kinder- und Jugendtheaters: Es benötige weniger finanzielle Unterstützung, hätte einen geringen ästhetischen Anspruch, sei nur für Kinder und ihre Verwandten interessant oder habe starre Altersgrenzen. Indem junge Menschen ihre Zutaten mitbringen, kreieren sie kollektiv ihre Stücke (vielleicht manchmal auch wirklich eine Pizza). Deswegen bleibt es nicht nur bei der Partizipation – ihre Arbeitsweise ist vielmehr die leckere «Party-Pizza-Station»!

Mit Ursula Bienz zerknittern die Beteiligten Zeitungsseiten und beleben diese zu neu erschaffenen Fantasiefiguren, die im wirren Kauderwelsch miteinander in Kontakt treten. Um die Diskussion über Kinder- und Jugendtheater verständlicher zu führen, wechselt man auf die vertrauteren Landessprachen. Dabei kristallisieren sich Fragen heraus, ob Spiel und Theater gleichzusetzen sei, wie unterschiedliches Theatervokabular beeinflusst und welchen Nutzen Nischen haben.

Bei Pamela Dürr, der Leiterin des Projekts «Kulturkosmonauten», erklärten die Jungen ihre Sicht auf die Fragezeichen der Erwachsenen. Die Theaternische bedeute Wärme und Stabilität, das aber oftmals dieselben Leute abholt. Es benötige viel mehr Sichtbarkeit über all die Möglichkeiten, sich theatral ausleben zu können. Sie denken auch aus selbstkritischer Perspektive: Nicht alle haben das Geld, die Zeit oder die Sicherheit bei einem Projekt mitzumachen, und bespielen sie überhaupt die richtigen Orte? Das dringendste Votum an die «Boomer» ist jedoch, den jungen Menschen mehr zu- und vertrauen – auf, hinter und neben der Bühne!

Mehr Raum für Theaterproduktionen

Im Podium führen Schauspielerin Rahel Hubacher, Joan Mompart, Direktor des Genfer Am Stam Gram Theater, und Katja Langenbach, Schauspieldirektorin des Luzerner Theater, die gesammelten Gedanken weiter: Warum ist Theater kein Pflichtfach in den Schulen? Warum tritt man nicht aus den Häusern auf die Strasse und knüpft dort Zufallsbekanntschaften? Warum versäumt die Politik die Investitionen in die Ausbildung und junge Projekte? Fundamental sei die Präsenz des Jugendtheaters, die Solidarität in der Szene und bessere Bedingungen, damit Produktionen für junges Publikum nicht länger als Randgemüse betrachtet wird. Die kulturpolitische Diskussion, das genügend vorhandene Geld gerechter zu verteilen, sei aber einen Tag zu spät – am gestrigen Eröffnungsapéro wären die Politiker:innen noch anwesend gewesen. Im Abschluss würdigte nicht nur der Prix Assitej Pamela Dürr für ihre szenische Arbeit mit und für Jugendliche, sondern auch der emotionale Überraschungsauftritt ihrer Gruppe. Manche Stimmen würden vielleicht dazu sagen: «Niedlich.» Die Jugendlichen entgegnen auf der Bühne aber selbstbewusst: «Nein, wir sind ernsthaftes Theater!»

Anderes ernsthaftes Theater zeigt auch die Produktion «Ça commence par le feu» von Magali Mougel, die sich mit individuellen Krisen und Umbrüchen befasst, und alle im Feuer versengt. Die popkulturellen Bezüge der späten Achtziger ermöglichen eine rasche Identifikation und Repräsentation, während aus der Asche der Erzählstränge die Fragen emporsteigen: Wer entscheidet, was wann als Krise verstanden wird? Wie gehen wir mit dem Feuer um? Lernen wir, damit zu Leben? Versuchen wir, es gemeinsam zu löschen? Oder liegt die Lösung gar darin, zu lernen, wie man es entfacht? Der zweite Tag des STT stand somit ganz im Zeichen unterschiedlicher Perspektiven, die eine Vielzahl inspirierender Fragen mit auf den Nachhauseweg geben.

Am Freitag macht das Festival den Ausflug nach Luzern, direkt in das Luzerner Theater mit einem Keynote und Workshop über Frauen* in Leitungspositionen. Durch neue Anstösse hungrig angeregt, serviert der Südpol ein veganes Mittagessen, während t. Zentralschweiz das regionale Theaterschaffen thematisiert und überleitet ins Podium zur Diversität auf Schweizer Bühnen. Mit dem autobiographischen Solo «Dans ton intérieur» von Julia Perazzini und «Das komische Theater des Signore Goldoni» wird ein abwechslungsreicher und unterhaltsamer Theaterabend in Luzern versprochen.

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