Bereits vor der offiziellen Eröffnung hatten Jugendliche die Möglichkeit, sich mit dem Zuger «Jam On Radio» an Interviewführung und Audioaufnahmen heranzutasten, und das frisch Gelernte mit Versuchskaninchen, den Apéro-Gäst:innen, auszuprobieren. Im Saal des Casino Theater Zug versammeln sich Theaterschaffende, Journalist:innen, Besucher:innen und Interessierte, stossen an und verkosten die typische Zuger Kirschtorte. Eine farbig beleuchtete, gemütliche Lounge lädt zum Verweilen ein. Man winkt sich zu, umarmt sich, hier und da ertönt ein «Schon lange nicht gesehen» auf Deutsch, Französisch oder Italienisch – man kennt sich und lernt sich kennen. Da sich Theater nicht nur auf die Sprache beschränkt, kommen erst gar keine Sprachbarrieren auf.
Das altersdurchmischte Publikum wird von Julie Paucker (Künstlerische Leiterin STT), Ute Haferburg (Intendantin Casino Theater Zug), dem Zuger Regierungsrat Stephan Schleiss, dem Stadtpräsidenten André Wicki und der Luzerner Stadträtin Korintha Bärtsch begrüsst. Dabei wird die Widerstandskraft des Theaters inmitten einer autokratisch werdenden Welt hervorgehoben. Mit einem Konfettiknall wird der Start zelebriert, bis der Gong zur Aufführung der Produktion «Die Krume Brot» läutet.
Die inszenierte Romanadaption von Antú Romero Nunes entfaltet in einem organischen Zeitraffer die Familiengeschichte von Emma und ihrer Mutter Adelina. Es handelt um Herkunft und die Widerstände, die daraus entstehen können und in die Gegenwart einfliessen. Die Makrohandlung, die Emmas Leben im Überfluss zeigt, kontrastiert mit der Mikrohandlung ihrer Vorfahr:innen, die durchgehend ausgebeutet wurden.
Gerade in der ersten Hälfte präsentiert sich das Basler Theaterensemble als wunderlich-exzentrische Spektakeltruppe: sie unter- und überlegen ihr Spiel gleich selbst mit Soundeffekten, Tanz und Gesang. Das Publikum ist hörbar unterhalten, auch wenn die körperbetonte, übersteigerte Komik zunächst kaum mit der Tragik dieser Erzählung zusammenzufinden scheint. Doch während sich das transgenerationale Trauma über die etwas längere Spieldauer entfaltet, überrascht die Inszenierung auch immer wieder mit ruhigen und atmosphärischen Momenten. Auf rauchgefüllter Bühne wirken die Darsteller:innen, begleitet von Hintergrundmusik, fast demütig.
Während die Stimmung im ersten Teil heiter und clownesk war – aufgrund der abstrakten Verkörperungen und dynamischen Wechsel zwischen Zeit, Figuren und Ort – wurde sie im zweiten Teil bedrückend. Der Leib als kapitalistisches Gut, welchen die Herrschenden nach Lust und Laune ausbeuten können, entlarvt die zuvor lockeren, sprunghaften Figurationen der Schauspieler:innen. «Ich bin das Werkzeug der Tatsachen, und die Tatsachen töten», zeigt, wie leicht sich Verantwortliche aus ihrer Verantwortung ziehen können. Der Widerstand gegen die Eltern, gegen das Kind und gegen sich selbst aufgrund der vererbten Hilflosigkeit in der Welt wird immer deutlicher. Als die Tragik schliesslich in der Gegenwart angelangt, öffnet sie den Raum und der gut gefüllte Saal bricht in tosenden Applaus aus.
Eine erfolgreiche Ouvertüre dank der starken Leistung der Schauspieler:innen über 200 Minuten hinweg. Fast schon skurril wirkt es, als man aus Emmas Welt tritt und bereits die wummernden Bässe und verführerischen Melodien von DJINO hört, die zur Afterparty laden. So geht der erste Tag des Schweizer Theatertreffens in trockenen Tüchern über die Bühne, während es draussen schüttet. Wir hoffen, dass sich die Besucher:innen an die berührende Gesangseinlage in „Die Krume Brot“ erinnern und für die nächsten Festivaltage beschliessen: «Tornerò!»
Der Donnerstag startet mit Beatrice Fleischlins feurigem Workshop über politische Haltung in der Kunst. Anschliessend lädt das partizipative Podium «Raus aus der Nische» zur Diskussion darüber, wie für die Tiktok-Generation neue Zugänge zu den darstellenden Künsten geschaffen werden könnten. Mit «Ça commence par le feu» wird die zweite Sélection-Produktion auf der Bühne der Chollerhalle entfacht, bevor das wilde Tessiner Performance-Konzert «Maybe a Concert» den zweiten Festivaltag abrundet. Durchgehend dazwischen: Der Dokumentarfilm des Kleintheaters über ihre Inklusionsstrategie. Und wer die Mitmenschen der Schweizer Theaterszene vertiefter kennenlernen möchte, hat tagsüber beim Pedalo Speeddating die Gelegenheit dazu – Sonnencreme oder wohl eher die Pelerine nicht vergessen!