«Warum fürchten wir uns so vor dem Älterwerden?» - Zara Zerny im Interview

Im Dokumentarfilm «Echo of You» (2023) entführt uns die dänische Regisseurin Zara Zerny in die emotionale Welt einer Generation, die schon bald in Vergessenheit geraten wird. Sie erzählen ihre Lebensgeschichten über Liebe, Verlust und Lebensträume. Im Interview teilt die Regisseurin mit uns den Prozess ihrer Auseinandersetzung mit dem Älterwerden, die Zusammenarbeit mit diesen berührenden Begegnungen und ihre Wünsche an die Zuschauer:innen.

Autor:in:
Elin Häller
Titelbild:
z.V.g.
Hinweise:

Mit einfühlsamer Neugier fragt Regisseurin Zara Zerny in ihrem neuen Dokumentarfilm «Echo of You»(2023) ihre Hauptfiguren nach ihren Erfahrungen mit Trauer, der Reaktion der Gesellschaft, dem Wagnis einer neuen Liebe und der Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit. Sie bricht diese gesellschaftliche Angst auf und stellt uns den Spiegel vor das Gesicht: Wovor fürchten wir uns so beim Älterwerden? Ein Dokumentarfilm, der durch seine berührenden Aufnahmen Generationen näherbringt und verbindet.

frachtwerk: Können Sie mir etwas über die Inspiration zu "Echo of you" erzählen und was Sie dazu bewegt hat, sich auf die Geschichten älterer Menschen zu konzentrieren?

Zerny: Ich bin in Kanada geboren und kam nach Dänemark, als ich acht Jahre alt war. Da zogen wir in das Haus meiner Grosseltern und ich erinnere mich noch sehr gut an ihre Beziehung zueinander, die im ganzen Haus sehr ausgeprägt war. Sie waren sehr respektvoll zueinander und das hat mich fasziniert. Gleichzeitig hatte ich auch Angst davor, weil es etwas Neues für mich war. Nachdem mein Grossvater verstarb, sprach ich oft mit meiner Grossmutter über ihn. Jedes Mal, wenn sie von ihm sprach oder seinen Namen erwähnte, flossen Tränen, da die Erinnerungen so lebendig wurden. Das war mein erster Kontakt mit dieser Generation und meine erste Erfahrung mit den Themen Partnerschaft und Liebe.

Im Jahr 2015 habe ich einen fiktionalen Kurzfilm gedreht, der von einer Frau handelte, die ihren Mann verloren hat. Die Figuren in dem Film waren reale Personen aus einem Pflegeheim - ausser der Hauptcharakter. Diese Frauen, die ich dort getroffen habe, dachten alle, dass sie sterben würden, wenn ihr Mann nach 60 Jahren stirbt und als das nicht geschah, dachten sie, dass sie ihn nicht genug geliebt hätten - fast so, als ob der Tod zu einer Liebeserklärung wurde, die sie bewunderten. Das war wirklich faszinierend. So entstand die Idee für diesen Dokumentarfilm. Diese Generation hat eine einzigartige Perspektive auf Partnerschaft und Freundschaft, und ich habe beim Drehen des Films festgestellt, wie unterschiedlich ihre Einstellungen und Ansichten sind.

frachtwerk: Wie haben Sie diese Menschen gefunden?

Zerny: Wenn man den Leuten erzählt, dass man einen Film über ältere Menschen machen möchte, die ihre Angehörigen verloren haben, sagen alle: «Oh, du musst mit meiner Grossmutter oder meinem Grossvater sprechen». Also habe ich viele Grosseltern meiner Freunde interviewt und durch Seniorenvereinigungen und Trauergruppen verschiedene Leute gefunden. Ich besuchte und interviewte 50 bis 80 Leute und verbrachte mit den meisten von ihnen einen ganzen Tag, um herauszufinden, wer sie waren. Wir haben versucht, alle verschiedenen Sexualitäten und Ethnien zu finden, aber am Ende waren es wirklich diese neun Leute, die herausstachen. Die Recherche für den Film war intensiv, aber auch sehr bereichernd. Es waren drei therapeutische Jahre, in denen ich die Gelegenheit hatte, mit vielen Menschen zu sprechen. Sie waren unglaublich offen und haben mit mir tiefgehende Geschichten und Erfahrungen geteilt.

frachtwerk: Wie haben Sie sie dazu gebracht, sich so zu öffnen?

Zerny: Ich habe sie durch direkte Fragen zum Öffnen gebracht. Sie sagten, es lag an meiner Offenheit und Intuition. Die Tatsache, dass sie auf ihr vergangenes Leben zurückblickten, erleichterte es ihnen, offen zu sprechen. Diese Authentizität und Ehrlichkeit spiegelt sich im Film wider und macht ihn für den Zuschauer besonders berührend. Während der Arbeit am Film habe ich viel über mein eigenes Leben und meine Zukunft nachgedacht. Ich habe mich gefragt, wo ich sein möchte, wenn ich 90 bin. Ich hoffe, dass die Zuschauer:innen angeregt werden, ebenfalls über ihr eigenes Leben und das Älterwerden nachzudenken und vielleicht weniger Angst davor zu haben. Es ist beängstigend und gleichzeitig auch aufregend. Besonders im Fall von Ove, der im September seine neue Partnerin, die 20 Jahre jünger ist, heiraten wird. Ein Beweis dafür, dass auch im Alter von 84 Jahren noch alles möglich ist. Das zeigt, wie lebendig und dynamisch das Leben sein kann.

Einige waren nicht so offen. Ein Mann sprach nur über seinen Bauernhof und seine Tiere, weinte aber, als ich tiefer auf seine Gefühle einging. Diese Generation ist es statistisch gesehen nicht gewohnt, über ihre Gefühle zu sprechen oder sich mit ihrem Schmerz auseinanderzusetzen.

frachtwerk:Das langsamere Tempo des Films, sowohl visuell als auch musikalisch, ermutigt die Zuschauer:innen, tiefer über die dargestellten Geschichten und Gefühle nachzudenken. War das beabsichtigt?

Zerny: Als einer meiner besten Freundinnen mir riet, keinen typischen Film über das Älterwerden zu machen, hat das wirklich einen Nerv bei mir getroffen. Ich wollte nicht einen weiteren Film über das Älterwerden drehen, ich wollte etwas Besonderes schaffen. Als ich «Euphoria» und andere Jugendsendungen sah, fühlte ich mich inspiriert, diese frischen und ehrlichen Emotionen, die man bei jungen Menschen sieht, auch bei älteren Menschen darzustellen, wo das viel seltener vorkommt. Die visuelle Ästhetik, durch die Nahaufnahmen, die Haut – das hat mich jedes Mal berührt und mich zum Weinen gebracht. Warum fürchten wir uns so vor dem Älterwerden? Warum haben wir Angst, diese jungen Bilder von uns selbst zu verlieren?

Musik spielte auch eine entscheidende Rolle für mich. Ich wollte einen Soundtrack, der elektronisch, aber auch herzlich ist. Etwas, das den Rhythmus der Jugend einfängt, aber auch die Tiefe und Erfahrung des Alters zeigt. Die Zusammenarbeit mit dem Musiker Viktor war unglaublich erfüllend - und es war fantastisch zu sehen, wie die Leute auf die Musik reagiert haben. Es ist so befriedigend zu wissen, dass die Energie, die wir in den Film gesteckt haben, bei den Zuschauer:innen ankommt und sie berührt. Ich muss auch den unglaublichen Fotografen Jacob und die beste Redakteurin Sofie loben an dieser Stelle. Es war eine perfekte Zusammenarbeit.

frachtwerk: Ihr Film porträtiert eine Generation, die allmählich verschwindet und ihre Geschichten und Erinnerungen mit sich nimmt.Wie fühlen Sie sich dabei, durch Ihren Film ein Stück dieses Erbes zu bewahren?

Zerny: Es fühlt sich gut an, durch meinen Film ein Stück des Vermächtnisses dieser Generation festzuhalten. Es ist erfüllend zu wissen, dass ich etwas dokumentiert habe, das die Menschen wirklich verstehen und schätzen. Allerdings frage ich mich, wie der Film in 20 Jahren aussehen würde. Ich bin jetzt 40, und in 20 Jahren wäre es meine Generation und die meiner Eltern. Das wäre ganz anders. Meine Kinder, die sechs und acht Jahre alt sind, haben den Film gesehen und fanden ihn beeindruckend. Sie haben sogar Stellen im Film erwähnt, die sie berührt haben. Ein Moment, der sie verwirrte, war, als die Leute lachten, als über den Suizid einer Mutter gesprochen wurde. Das war für sie schwer zu verstehen, da es ein sehr ernster Teil des Films war. Aber ja, ich war wirklich beeindruckt, wie viel meine Kinder trotz ihres jungen Alters verstanden haben.

frachtwerk: Was denken Sie, kann die jüngere Generationvon der älteren Generation über Liebe und Beziehungen lernen?

Zerny: Ich denke, dieser Film spricht sowohl ältere als auch jüngere Generationen an. Ältere Menschen sehen darin oft ihre eigenen Erfahrungen und Emotionen reflektiert, während jüngere Zuschauer:innen oft berührt sind, weil der Film sie an ihre eigene Zukunft erinnert. Jüngere Generationen grenzen sich oft stärker als Individuen ab und interagieren vielleicht weniger koexistent mit anderen Menschen im Vergleich zur älteren Generation. Auch wenn wir heute noch immer Partnerschaften führen, die über Jahrzehnte halten, ist das statistisch gesehen seltener geworden. Zwar finde ich es gut, dass jeder seine eigenen Wünsche und Ziele verfolgt, aber dabei geht oft die Tiefe in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen verloren.

Ich mache mir oft Gedanken darüber, ob meine eigenen Kinder, die mit iPads und iPhones aufwachsen, in der Lage sein werden, echte Beziehungen aufzubauen und Erfahrungen im direkten Kontakt mit anderen Menschen zu sammeln. Ich hoffe,dass der Film die Zuschauer:innen dazu anregt, über ihr eigenes Leben und ihre Beziehungen nachzudenken. Es ist berührend zu sehen, wie viele Menschen, darunter auch meine Mutter, durch den Film emotional berührt werden und sich Gedanken über ihre Zukunft und die Erinnerungen, die sie hinterlassen, machen. Es zeigt, wie universell und bewegend die Themen des Films sind.

Verlosung

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Den Film "Echo Of You" kann man im